Beeindruckende Schilderungen über das Leben Bölls

Das Thema lautete eigentlich „Schreiben als Beruf“, über das René Böll, einer der Söhne des Schriftstellers Heinrich Böll, am Dienstagabend zum Abschluss der Heinrich-Böll-Tage 2015 im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sprechen wollte. Was er dann in seinem Vortrag – unterstützt von einer Powerpoint-Präsentation mit Bildern und Texten – mit persönlichen Worten brachte, war viel mehr: Durch seine Mischung aus Beschreibung von Fakten und eigenem Erleben machte er die Lebensgeschichte des Nobelpreisträgers Heinrich Böll nicht nur nachvollziehbar, er ließ die Anwesenden regelrecht in Bölls Lebensgeschichte eintauchen.

Kleine Bilanz zu den Böll-Tagen

Nach der Ausstellungseröffnung über Leben und Werk Bölls am 28. April im Saalfelder Böll-Gymnasium kehrte die Veranstaltungsreihe zum Abschluss mit dem Vortrag des Böll-Sohnes wieder dahin zurück. Dazwischen lagen die Böll-Lesenacht in der Rudolstädter Stadtbibliothek, die Böll-Lesemeile im Schwarzatal und die Filmvorführung über die verlorene Ehre der Katharina Blum im Vereinshaus des Heimatvereins Edelweiß in Sundremda. Es waren eher kleine Gruppen, die zu den Veranstaltungen gekommen waren, wie die Organisatorin Solveig Negelen von der Thüringer Böll-Stiftung erklärte. Dabei sei das Konzept, mit den Böll-Tagen vom kleinen Erfurter Büro der Stiftung aus ins Thüringer Land zu gehen, wieder aufgegangen. „Die Orte, in denen wir zu Gast sein durften, wie die ehemalige Druckerei in Bad Blankenburg oder der Kaisersaal in Schwarzburg, haben den Einsatz aber wirklich gelohnt.“

René Böll bereits zum zweiten Mal Gast an der Schule

Zum Abschluss mit René Böll konnte Schulleiter Ingo Seel nun mehr als 60 Interessierte aus dem Lehrerkollegium, aus der Schülerschaft und der Bevölkerung begrüßen. „Wir fühlen uns dem Leben, den Werken und dem Wirken des Namensgebers unserer Schule verpflichtet und freuen uns deshalb, dass wir heute seinen Sohn René bereits zum zweiten Mal hier am Gymnasium begrüßen dürfen.“

René Böll begleitet die jährlich stattfindenden Böll-Tage nicht zum ersten Mal und hat auf diese Weise auch schon etliche Orte in Thüringen kennengelernt. 1948 wurde er als 3. Sohn des Schriftstellers und seiner Frau, der Englischlehrerin und Übersetzerin Annemarie Böll, geboren. Mit dem Studium der Malerei und Graphik, der Gründung eines eigenen Verlags und der eigenen Galerie, hat er ebenfalls eine Künstlerlaufbahn eingeschlagen und ist Sprecher der Böll-Erbengemeinschaft und vertritt damit auch die Böll-Familie gegenüber der Böll-Stiftung.

Aus den Ausführungen von René Böll

Die Erfahrungen, die René Böll aus dem Leben seiner Familie mitbringt, zeigen ein oft schweres Leben. „Schon in seiner Schulzeit hatte mein Vater bis 1939 400 Arbeiten geschrieben.“ Er wollte immer schreiben, „fand aber die Worte erst später“. Um die Familie zu ernähren, übte Heinrich Böll deshalb zeitweise handwerkliche und verwaltungstechnische Arbeiten aus. Viele beeindruckende Erfahrungen markieren Heinrich Bölls Lebenslauf. Obwohl Gymnasiast, beendete er den 2. Weltkrieg nach sechs Jahren als Obergefreiter und nicht als Offizier, wie das eher selbstverständlich gewesen wäre, „weil er mit denen da oben nichts zu tun haben wollte. Und er war noch nicht mal in der Hitler-Jugend.“

Während seine Texte vor dem Krieg noch von verschiedenen Zeitschriften abgelehnt wurden, hatte er nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft endlich erste Erfolge. 80 Reichsmark erhielt er für den ersten publizierten Text im Rheinischen Merkur Koblenz im Mai 1947 – „und wie es damals üblich war, wurde der Text von der Zeitung um zwei Drittel gekürzt.“

Dennoch sei die finanzielle Situation für die Familie ziemlich hoffnungslos gewesen. So wurde er etwa von den Kölner Zeitungen als Redakteur abgelehnt, sodass er auf dem Bau, in der Schreinerei, in der Statistikabteilung der Stadtverwaltung und als Nachhilfelehrer arbeiten musste. Die Lage sei Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre immer dramatischer geworden, „aber meine Mutter hat Vater immer hundertprozentig unterstützt. Sie hat ihre ganze Sicherheit aufs Spiel gesetzt, um die Arbeit meines Vaters zu ermöglichen.“

Aber auch der Name Annemarie Böll ist ein Begriff in der literarischen Welt – etwa 60 Bücher hat René Bölls Mutter ins Deutsche übersetzt, darunter als bekanntester Titel „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, oft gemeinsam mit ihrem Mann, der dem übersetzten Text dann noch einen literarischen Feinschliff gab. Als Augenmensch visualisierte Heinrich Böll seine Arbeiten oft – für ihn war „ein Roman wie ein Bild“.

Lebenserfahrungen Heinrich Bölls und seiner Familie waren oft ganz eng mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen der Bundesrepublik verbunden. So diente der Familiencitroen 1961 nach einem Umbau als Fluchtwagen, um eine Frau aus der Tschechischen Republik zu schmuggeln. Ganz nah dran waren die Bölls auch an der Ereignissen 1969 in Prag, gerade erst am Tag vor der Besetzung waren sie angekommen und hatten ihr Quartier in der Nähe des Wenzelsplatzes – und waren so mitten im Geschehen, als die Sowjettruppen den Prager Frühling beendeten.

Das Spannungsfeld, in dem Böll lebte, wurde in den 70er Jahren noch größer. Während er vor der Welt mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, „wurden mein Vater und unsere Familie zu Hause verfolgt“. Fünf Hausdurchsuchungen erlebten die Bölls und eine Diffamierungskampagne durch die Springerpresse. Letztlich resultierten die Erfahrungen daraus in dem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, wobei René Böll noch die zweifelhafte Ehre zu Teil wurde, in der Presse als die „männliche Katharina Blum“ bezeichnet zu werden.

Jenseits dieser teilweise dramatischen Ereignisse erinnert sich René Böll dennoch an glückliche Kindheitstage – verbunden vor allem mit den mehrmonatigen Aufenthalten der Familie in Irland, die erstmals 1955 dorthin aufbrach. „Dort hatten wir die absolute Freiheit und ein schönes Leben ohne Schule, aber auch ein einfaches Leben ohne Strom, Fernsehen oder fließendes Wasser.“

Überraschungsgast aus Südkorea: Prof. In Mo Jeong

Neben René Böll bereicherte den Abend überraschend ein weiterer Gast: Prof. In Mo Jeong, Professor für Deutsche Literatur an der Universität in Busan in Südkorea, mit 3 Millionen Einwohnern der größten Hafenstadt des Landes, hatte seinen derzeitigen Besuch in Deutschland auch nach Saalfeld zu den Böll-Tagen gelenkt. Der Böll-Fan hat seine Magisterarbeit über die Ansichten eines Clowns verfasst und über das Menschenbild von Heinrich Böll promoviert.

Er stellte seine wissenschaftlichen Arbeiten im Zusammenhang mit Heinrich Böll vor und berichtete von der Arbeit der 2000 gegründeten Südkoreanischen Heinrich-Böll-Gesellschaft, die er von 2007 bis 2011 selbst leitete. Der Kosmopolit Heinrich Böll, der sich auch für südkoreanische Dissidenten eingesetzt hatte, werde in seinem Land hoch geachtet.

Verbindungen nach Deutschland hat der südkoreanische Germanist gleich mehrere. So kam er aus Hamburg angereist, wo seine Universität eine Partnerschaft mit der Hamburger Universität hat. Und er ist jetzt auf dem weiteren Weg nach Erlangen, wo seine beiden Töchter derzeit studieren.