Schreiben, um die Wut loszuwerden

Es gibt im Irak auch Alltag! Selbst wenn wir in unseren Nachrichten davon nichts erfahren und nur über Selbstmordattentate berichtet wird. Mittlerweile werden beispielsweise auf der legendären Bagdader Bücherstraße, der al-mutanabbi-Straße, auch wieder Bücher verkauft. Es gibt dort sehr viele Buchhandlungen und Antiquariate. Es kann aber auch jeder eine Decke ausbreiten und seine eigenen Bücher auf der Straße verkaufen.

Unter Saddam Hussein wurden sehr viele Bücher zensiert und landeten auf dem Index, erklärt Birgit Svensson die Entwicklung des Büchermarktes im Irak. Sie lebt als Journalistin in Bagdad. Nach Husseins Sturz könne nun zwar alles veröffentlicht werden, aber es könne nicht gedruckt werden, weil die meisten Druckmaschinen im Krieg zerstört wurden. An dieser Stelle wollte Svensson ansetzen. Sie besorgte eine Druckmaschine aus Deutschland und begann irakische Gegenwartsliteratur zu sammeln und in einem Sammelband herauszugeben. Bei ihren Recherchen fiel ihr auf, dass Frauen im Irak überhaupt keine Stimme haben. Daher suchte sie gezielt nach Texten von weiblichen Autoren und stellte aus diesen die erste Anthologie irakischer Gegenwarts-Schriftstellerinnen unter dem Titel „Mit den Augen von Inana“ zusammen. 2013 erschien die Sammlung auf arabisch, 2015 auf deutsch und 2017 soll sie auch auf französisch erscheinen.
Ein Problem im Irak sei aber auch der Vertrieb der Bücher, erklärt Svensson. Unter Saddam Hussein habe es einen einheitlichen Vertrieb gegeben und die Autoren seien vom Staat bezahlt worden. Nach dem Sturz gebe es nur noch wenige Vertriebe im Irak. Jeder Schriftsteller müsse auf sich allein aufmerksam machen.

"Es gibt im Irak auch Alltag!"

„Nur wer Geld hat, kann im Irak veröffentlichen“, fasst Amal Ibrahim al-Nusairi die gegenwärtige Situation zusammen. Sie ist Übersetzerin und Schriftstellerin und lebt in Bagdad. Nach dem Ende der Diktatur habe es eine Welle von Literatur gegeben, die sich mit der den Repressionen und den Gräueltaten in der Diktatur beschäftigten. Das Ende der Zensur habe die Leute beflügelt, zu schreiben. Ein Großteil dieser Texte sei auch literarisch gut gelungen. Aber all diese Werke seien außerhalb des Iraks unbekannt, weil der Druck und der Vertrieb so schwierig sei. Es gebe auch keine Übersetzungen. Deshalb hat al-Nusairi auch eine Webseite gegründet, auf der sie irakische Texte in deutsch und englisch übersetzen lässt (LINK). Im Gegensatz zum Irak habe man in Deutschland den Vorteil, dass man einen Verlag im Hintergrund habe, der Übersetzungen und auch Lesereisen organisieren könne. So wie dies der Verlag Hans Schiler für den Sammelband „Mit den Augen von Inana“ mache.

 

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Für Schriftsteller im Exil sei es aber auch in Deutschland nicht idyllisch, erklärt Wafa‘ al-Rabi‘i. Sie ist als Oppositionelle im Jahr 1979 aus dem Irak geflohen und lebt nun als Autorin in Berlin. Sie habe größere Schwierigkeiten, ihre Literatur zu veröffentlichen, als die Schriftsteller im Irak. Sie steht gewissermaßen zwischen den Stühlen: In Deutschland gebe es kaum einen Verlag, der arabische Literatur drucke. Wenn sie auf arabisch schreibe, könne sie nur im Irak veröffentlichen. Aber Bücher von im Exil lebenden Schriftsteller/innen werden von der irakischen Regierung nicht gefördert. Dort wird auf die besseren Unterstützungsmöglichkeiten durch das deutsche Umfeld verwiesen. Daher konnte sie ihre drei Gedichtbände nur auf eigene Kosten in Syrien drucken lassen.

Viele Schriftsteller sind wie al-Rabi‘i während der Herrschaft Saddam Husseins ins Exil gegangen. Aber auch nach dem Sturz sei es für Schriftsteller im Irak nicht einfach gewesen, erklärt Svensson. Von 2006 bis 2008 habe es einen Bürgerkrieg im Irak gegeben, in dem systematisch versucht wurde, die Elite zu ermorden. Das habe auch langfristige Folgen gehabt: Bisher konnte keine neue Elite im Irak heranwachsen. Viele Institutionen seien daher mit unfähigen Leuten besetzt. Der Staat könne viele seiner Aufgaben nicht erfüllen.
Das irakische Volk springe daher in die Lücke und leiste, was die irakische Regierung eigentlich leisten müsse, erklärt al-Nusairi. Es gebe mittlerweile sehr viele private Initiativen im Irak: So gebe es beispielsweise ein großes Lesefestival, auf dem Kindern das Lesen nahegebracht werden soll. Auch für die Sauberhaltung der Stadt habe sich eine private Initiative gegründet. Und auch Waisenhäuser wurden von Irakern eröffnet, um sich um die vielen Straßenkinder zu kümmern.

"Sie besorgte eine Druckmaschine aus Deutschland und begann irakische Gegenwartsliteratur zu sammeln und in einem Sammelband herauszugeben."

Es gebe aber immer noch viele Selbstmordattentate, die das Leben im Irak erschweren. Durch diese werde einem bewusst, so al-Nusairi, dass man es nur dem Zufall verdanke, dass man noch am Leben ist. Es sei sehr schwierig sein Leben zu planen, wenn es nur eine zufällige Angelegenheit sei. Man gehe zwangsläufig anders mit dem Leben um als in Ländern mit einer stabilen Sicherheitslage.
Aber es gebe auch Alltag in Bagdad. Ihr Alltag sehe so aus: Sie arbeitet als Übersetzerin in einer staatlichen Institution. Wenn es einen Anschlag gebe, komme sie oft nicht pünktlich zur Arbeit, da dann alle Straßen gesperrt seien. In der Pause werte sie dann mit ihren Kolleg/innen aus, was jeder erlebt habe. Und wenn jemand einen Angehörigen verloren habe, gehe man nach der Arbeit gemeinsam auf die Trauerfeier. Wenn es keine Explosion gebe, gehen die Kinder auch Fußballspielen und die Frauen machen sich Gedanken, wo sie am nächsten Morgen Frühstücken gehen können. Dadurch, dass es so viele traumatische Erlebnisse gebe, überwinde man diese mittlerweile schneller: „Die Phase wird kürzer, in der wir paralysiert sind.“

Dabei helfe auch das Schreiben. Unter diesen Umständen der alltäglich erlebten Gewalt greife fast jeder zum Stift, um seinen Druck und seine Wut loszuwerden. Das Schreiben ist für al-Nusairi ein Mittel, um das eigene Gleichgewicht wiederzufinden, und auch, um sich anderen mitzuteilen. Trotz der Probleme sei das irakische Volk aber immer noch ein gebildetes Volk und es spreche viele Sprachen. Es werden in Bagdad auch wieder Theaterstücke aufgeführt, es finden Konzerte statt und die Menschen gehen auf Partys. „Vielleicht wundern sie sich – aber all das findet statt“, erklärt al-Nusairi.

Früher, so ergänzt Svensson, habe es das Sprichwort gegeben: „Bücher werden in Kairo geschrieben, in Beirut gedruckt und in Bagdad gelesen.“ Im Irak gebe es eine sehr lange Lesetradition. Allerdings werden auch im Irak weniger Bücher gekauft, stellt al-Rabi‘i fest, weil viele Sachen nur noch über das Internet gelesen werden. Bücher zu kaufen, sei ja auch eine finanzielle Frage: Wer kein Geld habe, leide unter ganz anderen Probleme, als sich keine Bücher kaufen zu können.

"Das Schreiben ist für al-Nusairi ein Mittel, um das eigene Gleichgewicht wiederzufinden, und auch, um sich anderen mitzuteilen."

Svensson hat aber auch festgestellt, dass die anfangs erwähnte Bücherstraße wieder belebter werde und die Leute stapelweise Bücher dort kaufen. Dort sei ihr auch die Idee zu dem Sammelband mit den Texten weiblicher Autorinnen gekommen. Im Irak bleiben die Frauen oft unsichtbar, ihre Probleme sind unbekannt. Symbolisch dargestellt werde dies auch auf dem Cover der Anthologie.
Dabei sei gerade die Perspektive der Frauen wichtig, sagt al-Nusairi. Denn Frauen schreiben anders. Sie nehmen ihre Umgebung anders wahr. Die emotionale Seite der Frauen habe großen Einfluss auf ihre Sicht. Sie seien näher bei sich selbst und damit authentisch. al-Nusairi fasst es so zusammen: „Frauen schreiben von innen nach außen, Männer machen es umgekehrt.“

Dem widerspricht al-Rabi‘i deutlich. Ein Gedicht sei ein Gedicht – es gebe nicht so etwas wie ein männliches oder ein weibliches Gedicht. Männer und Frauen haben ähnliche Gefühle. Einen größeren Einfluss als das Geschlecht habe vielmehr der Ort des Schreibens. Die Umstände im Irak hätten daher wesentlich größere Auswirkungen auf die Gefühle der Frauen. Schreiben sei für sie eine Mission. Der Schriftsteller sollte ein hohes Bewusstsein seiner selbst und der gesellschaftlichen Umwelt haben. Sie schreibe, um eine Message zu überbringen – und zwar die Message der Reform. Es gehe um die Auseinandersetzung mit der Ungerechtigkeit und den Repressionen in der Gesellschaft. Sie fasst dies so zusammen: „Wir tauchen in die Dunkelheit, um das Licht zu suchen.“

 

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