Der lange Weg nach Deutschland

Es ist ein Land, das die meisten Deutschen wohl so nicht aus den Medien kennen: Syrien vor dem Krieg. Dieses Land beschreibt Mouhamed Alazawe, genannt Adam, auf der Veranstaltung „Der lange Weg nach Deutschland“.

Er beschreibt ein Land, dessen Geschichte bis in das Jahr 10.000 vor Christus zurückreicht. Ein Land, in dem jahrhundertelang sehr viele Religionen friedlich zusammenlebten. Ein Land, in dem es enorme landschaftliche Unterschiede gibt, von Wüsten über Wälder bis hin zu Bergen. Ein Land, in dem es in jedem Jahr fast einen Monat nur Feiertage gibt, weil alle Religionen ihre Feiertage haben. Ein Land, in dem die Süssigkeiten täglich in Bäckereien bergeweise gestapelt werden. Natürlich ist das auch ein Land, in dem niemand eine Sozialversicherung hat, weil alle nur selbständig tätig sind.

"Ein Land, in dem jahrhundertelang sehr viele Religionen friedlich zusammenlebten."

Doch was ist heute aus diesem Land geworden? Inspiriert durch den arabischen Frühling begannen auch in Syrien im Jahr 2011 Demonstrationen für mehr Freiheit und für eine Systemveränderung. Es habe viele Gründe gegeben, gegen das Regime zu protestieren, erklärt Adam. Aber die Regierung wollte nicht zuhören und nichts verändern. Der Staat schickte erst die Polizei und dann die Armee gegen die Demonstranten – das half nichts. Dann gab es Mörserangriffe auf die Demonstrationen, bei denen nicht klar war, woher sie plötzlich kamen. Auch Adam wurde bei einem solchen Angriff von mehreren Glassplittern am Rücken verletzt.

Gegen die syrische Regierung begannen bald immer mehr Konfliktparteien zu kämpfen: Erst die Freie Syrische Armee, dann der IS und dann die Kurden. Die Regierung wurde in ihrem Kampf gegen die Rebellen durch die russische Armee unterstützt. Das Ergebnis dieses Krieges ist desaströs: Mittlerweile sind in Syrien etwa 70% der Krankenhäuser und über 3000 Schulen zerstört, erklärt Adam. Viele historische Häuser und alte Moscheen wurden zerbombt. Viele Syrer sahen in dieser Situation keine andere Möglichkeit mehr als zu fliehen.

Zunächst flohen sie in die Nachbarländer Jordanien, die Türkei oder den Libanon. Aber dort war die Situation auch bald katastrophal. Im Libanon beispielsweise mussten zwei bis drei Familien in einer Wohnung leben. Die Flüchlinge durften in den meisten Ländern auch nicht arbeiten. Dann habe Europa die Grenze ungeplant geöffnet und viele Syrer sind nach Europa und dann nach Deutschland geflohen.

So wie auch Adam. Er ist seit anderthalb Jahren in Deutschland und arbeitet mittlerweile in Erfurt als Sozialarbeiter und Übersetzer in der Flüchtlingshilfe. Als ihn vor einem Jahr sein Studienfreund Hamed al Hamed, der ebenfalls nach Deutschland geflohen war, in Erfurt besuchte, sprachen sie auch über dessen Flucht. Dabei hat Adam ihn ermutigt, aus den Handyvideos, die er auf der Flucht aufgenommen hat, einen ganzen Film zu schneiden. Daraus ist der 35 minütige Film „Der lange Weg nach Deutschland“ geworden, der im Anschluss an Adams Vortrag auf der Veranstaltung gezeigt wurde.

"Insgesamt dauert es sechs Tage von der Türkei bis nach Deutschland. Die Flucht hat 4500 Euro gekostet."

Der Film zeigt, wie sich Hamed al Hamed gemeinsam mit seinem Bruder von der Türkei auf den Weg nach Deutschland macht. Gezeigt wird die illegale Überfahrt auf eine griechische Insel und der Weg zum griechischen Festland mit einer Fähre. Viele Abschnitte des Weges legen die Brüder mit dem Bus oder dem Zug zurück. Zwischendurch werden auch Nachrichten eingeblendet, die die Flüchtlinge während ihrer Flucht über ihr Handy erhalten: So erfahren sie beispielsweise über die aktuelle Situation in Mazedonien. Allerdings werden im Film die Kontrollen an den Grenzen nicht gezeigt. Die Brüder werden auch nie in einem Flüchtlingslager festgehalten. Insgesamt dauert es sechs Tage von der Türkei bis nach Deutschland. Die Flucht hat 4500 Euro gekostet.

Die beiden Brüder wohnen jetzt in einem Dorf in der Nähe von Münster. Einer der Brüder hat bisher noch kein Asyl bekommen, da er in Ungarn seinen Fingerabdruck abgegeben hatte. Bei der Filmvorführung konnten sie leider nicht anwesend sein. Daher beantwortete Adam die Fragen des Publikums. Auch er hat die Erfahrung der Flucht nach Deutschland gemacht.

Die Entscheidung nach Deutschland zu gehen, sei Adam nicht leicht gefallen. Er wäre auch in Syrien geblieben, aber der IS hat dies unmöglich gemacht. Nach dem Ende seines Studiums hatte er  gerade begonnen als IT-Lehrer in einer Schule in Palmyra zu unterrichten und nebenbei in einem Café zu arbeiten, als der IS die Stadt einnahm. Das Café und die Schule wurden dann geschlossen. Zunächst eröffnete er mit seinem Bruder noch einen Supermarkt in der Stadt. Doch als die Kämpfe und Bombardierungen schlimmer wurden, wurden auch die Regeln des IS drastischer. Der Supermarkt musste schließen. Der IS hat Adams Pass und seinen Armeepass zerstört. Der Besitz dieser Papiere war eine Voraussetzung um in die Bereiche gehen zu können, die die Regierung kontrolliert. Er konnte nicht mehr arbeiten und war gefangen in Palmyra. In dieser ausweglosen Situation habe er sich dann entschlossen nach Europa zu gehen.

"Die Deutschen arbeiten in seinen Augen sehr, sehr viel und haben sehr viel Bürokratie. Er frage sich oft, warum die Deutschen Papier so sehr lieben."

Nur die reichen Syrer können es sich leisten, nach Europa zu fliehen, erklärt Adam. Sein Bruder habe ihm 2500 Euro für die Flucht gegeben. Aber es sei doch sehr schwierig gewesen. Besonders die syrische Grenze sei gefährlich gewesen, da diese immer wieder offen oder geschlossen war. Wenn man dort erwischt wurde, wurde man von der Regierung ins Gefängnis gesteckt. Auch er kam dann – wie im Film gezeigt – von der Türkei mit einem Boot nach Griechenland.

Er habe viel Glück gehabt, sagt Adam. In Deutschland hat er Asyl für drei Jahre erhalten. Er hat eine Wohnung in Erfurt gefunden und arbeitet in der Flüchtlingshilfe. Dort erklärt er anderen syrischen Flüchtlingen den zwischenmenschlichen Umgang in Deutschland, damit diese leichter in Kontakt zu Deutschen kommen. Man bringe beispielsweise ein Geschenk mit, wenn man zu Besuch komme, man trage Hausschuhe und rauche nicht in der Wohnung. Die Deutschen arbeiten in seinen Augen sehr, sehr viel und haben sehr viel Bürokratie. Er frage sich oft, warum die Deutschen Papier so sehr lieben.

All diese Besonderheiten müsse man den syrischen Flüchtlingen erst erklären und sie auch mal auf alternative Veranstaltungen mitnehmen. Adams Erfahrung ist: Nur wenn die Flüchtlinge hier positive Erfahrungen machen, wollen sie sich auch in Deutschland integrieren und die Sprache lernen.

 

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