Fotoworkshop und Ausstellung - "Stadt & Mensch"

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Quelle: Sebastian Heuchel

In Zeiten zunehmender Ungewissheiten – ob das Arbeitsmarkt, Altersabsicherung, globales Klima oder Finanzmärkte betrifft – und sozialer Ungerechtigkeiten, die sich über Nicht-Teilhabe an sozialen, kulturellen und politischen Prozessen reproduzieren und verschärfen, drängen Rufe nach Ideen für eine sich wandelnde Gesellschaft an die Oberfläche. Diese rühren im Kern an menschlichen Grundfragen: Wie wollen wir (zusammen)leben? Und wie muss dazu unsere Lebenswelt gestaltet werden?
 
Der noch relativ junge Begriff „Soziale Inklusion“ ist mehr als ein sozialpolitisches Konzept, er ist eine Betrachtungsweise, die die Annahme von der Gleichwertigkeit aller Menschen konsequent zu Ende denkt und ein dementsprechendes (Um-)Handeln bzw. Umstrukturieren einfordert. Soziale Inklusion erweitert das bisher vorherrschende Verständnis von Inklusion, welches vorrangig auf den Bildungsbereich bezogenen war. Inklusion soll demnach nicht auf eine bestimmte Menschengruppe (wie Sehbehinderte) oder Institution (wie Schule) reduziert werden, sondern in alle Lebensbereiche – Arbeit, Teilhabe an Politik, Kultur und sozialem Leben – hineingetragen werden.
 
Das Projekt {hochinklusiv} der Heinrich-Böll-Stiftung will diesen Ansatz einer breiten Öffentlichkeit nahe bringen und Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigen. Der Grundgedanke von {hochinklusiv} steckt in der knappen Formel „Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft“, die sich auf den zweiten Blick als aufschlussreich erweist. Das Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft wird hier auf einer anderen Ebene ausgehandelt: Es soll nicht um die Einpassung bzw. (Ab-)Wertung non-konformer Eigenschaften Einzelner zugunsten normativer Gesellschaftsstrukturen gehen. Nicht die Menschen, sondern gesellschaftliche Strukturen und Institutionen gilt es anzupassen – und zwar an die Bedürfnisse und Besonderheiten ihrer Mitglieder. Soziale Vielfalt bzw. die Unterschiedlichkeit der Menschen werden in der Perspektive von Inklusion als Normalität definiert und anerkannt.  Ob Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, körperliche oder geistige „Beeinträchtigungen“ – jeder Mensch wird als gleichwertig betrachtet, der ein Recht auf soziale Teilhabe und auf die Befähigung zu dieser hat. 
Hochinklusiv ist also eine Art Perspektive, die man sich aneignen kann. Diese „Inklusionsbrille“ kann unseren Blick schärfen für sozial produzierte (und oft unhinterfragt übernommene) Normalitätsvorstellungen und uns somit sensibilisieren für Strukturen, die soziale Gerechtigkeit und Teilhabechancen verhindern statt fördern. Soziale Inklusion will aber demzufolge nicht nur eine Veränderung auf der Institutions- und Strukturebene anregen, sondern fordert gleichzeitig dazu auf, eine neue Wertekultur zu schaffen, die einer demokratischen, toleranten und solidarischen Gesellschaft gerecht wird.
 

Dieses ideale, theoretische Konzept in konkrete Praxis umzusetzen, ist sicherlich eine Herausforderung. In Thüringen wurde sie mit viel Kreativität und Eigensinn angenommen. 

Die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen lud [im Mai 2012] Bürger/innen der Städte Sondershausen, Altenburg und Rudolstadt ein, ihre Stadt zu fotografieren. Entstanden sind ganz persönliche Blicke auf die Städte, die so unterschiedlich wie die Teilnehmenden selbst sind. So wurden zum Beispiel Portraits, Architektur-Abbildungen und 360° Panoramen fotografiert, die nach dem Workshop von den Teilnehmenden in einer Ausstellung zusammengeführt wurden. Anleitung bekamen die Teilnehmer/innen dabei von Yvonne Most (Fotografin aus Sondershausen) und Sylwia Mierzynska (Grafikerin, Fotografin aus Erfurt).
Wert wurde besonders auf eine bunte Zusammensetzung und die direkte Einbeziehung der Bürger/innen gelegt. Fotografie erweist sich hier als unkonventionelle partizipative Methode, um eine (auch politische) Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensort anzuregen. Der Streifzug durch die Stadt mit dem Blick durch die Linse gab Anlass für einen intensiven Austausch zwischen den Workshopteilnehmer/innen. Man diskutierte über öffentliche Plätze, über Freiräume und Angebote für Jugendliche und über den Verfall alter Gebäude. 
Die Fotos konfrontieren mit einer vermeintlichen „Außenperspektive“ der Stadt, die selbst nur Abbild eines subjektiven Blicks ist, aber gerade deshalb zur eigenen Stellungnahme herausfordert. 
Wie sehen die Bürger/innen ihre Stadt, welche Probleme gibt es? Was hat sich verändert – Wie kam das? In welcher Stadt wollen wir in Zukunft leben? Der hier erprobte künstlerische Zugang zu Formen der „inklusiven“ Teilhabe erweist sich als interessante Praxismethode sozialer Inklusion. 
Auf diesem Weg konnten auch Strukturen von Exklusion(smechanismen) in der Stadt sichtbar gemacht werden. Seine subjektiven Ansichten, die das Gemeinwesen betreffen, öffentlich in Form von Fotografien auszudrücken und zur Diskussion zur stellen, ist ein eigensinniger Weg für eine gemeinschaftliche, demokratische Auseinandersetzung. Doch gerade dieser Eigensinn kann so manch passiven Bürger aus der Reserve locken.
 
Ausgewählte Motive der drei Workshops wurden zum Thüringentag in Sondershausen präsentiert und anschließend Teil einer Postkartenserie „Städte & Menschen“.