Seit 1994 ist Aljaksandr Lukaschenka Präsident von Belarus, dessen Regierungssystem am treffensten als autoritäre Diktatur beschrieben werden kann. Schlaglichthaft beschreibt Peter Liesegang (Deutsch-Belarussische Gesellschaft), welche Ereignisse und politischen Reformen innerhalb der letzten zehn Jahre zur Zentralisierung der Macht beim Präsidenten beigetragen haben. So nutzte Lukaschenka tragische Ereignisse wie den Einsturz eines Kinderheims und die Geiselnahme von Beslan (Russland) 2004, um sich bei seiner Bevölkerung als Garant von Stabilität und Sicherheit zu profilieren. Mittels eines Referendums hob er die Begrenzung der maximalen Amtszeiten des Präsidenten auf zwei auf. Durch die sogenannte Direktive Nr. 1 „Über Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit und Disziplin“ wurde die Macht im Staat weitgehend zentralisiert und Gewaltenteilung unwirksam gemacht. Außerdem nahm die Repression gegenüber der Bevölkerung auf Basis der Direktive 1 weiter zu.
In Reaktion auf Kritik von Seiten der EU leitete Lukaschenka mehrfach vorgeblich liberale Reformen ein. So ließ er zwei zuvor verbotene Magazine wieder zu und ließ einige politische Gefangene frei. Bei den Wahlen von 2008 konnten Gegenkandidaten in einem relativ freien Wahlkampf für sich werben. Jedoch wurden drei der Gegenkandidaten in der Nacht nach der Auszählung der Stimmen, die Lukaschenka angeblich weitgehenden Zuspruch attestierten, brutal zusammengeschlagen. Insgesamt beschreibt Liesegang die scheinbar progressiven Reformen als reine Schaufensterpolitik, der auch die EU auf den Leim gegangen sei. Noch immer werden politische AktivistInnen in Gefängnissen festgehalten und gefoltert. Die Todesstrafe wird ohne Gerichtsverfahren verhängt. Angehörige erfahren nicht einmal, wo die Leiche ihres Verwandten begraben wurde. Demonstrationen, im letzten Jahr besonders in der Form von flashmobs, bei denen die Menschen klatschten um das Protestverbot zu umgehen, wurden gewaltsam niedergeschlagen.
Hiervon weiß auch Olga Karatch, Aktivistin der Menschenrechtsorganisation „Nasz Dom“ (Unser Haus), zu berichten. Sie saß bereits mehrfach wegen ihres politischen Engagements im Gefängnis. Angesichts schwacher und in sich zerstrittener Oppositionsparteien sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein wichtiger Motor für politische Veränderung. Nasz Dom setzt sich mit verschiedenen Methoden für ein demokratisches Belarus ein, das Menschenrechte gewährleisten und die Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung erfüllen soll. Die NGO gibt eine Zeitung heraus, wirbt für die Unterzeichnung von Petitionen, zieht vor Gericht und organisiert Protest auf der Straße. Im Gegensatz zu Liesegang, der einen Systemwechsel für eine Grundbedingung gesellschaftlichen Wandels hält, wirbt Karatch für eine Politik der kleinen Schritte. Kleine, aber zahlreiche Aktionen seien nützlicher als medienwirksame Massenproteste. Hauptzielgruppe sind hierbei nicht die politischen Eliten, sondern die breite Bevölkerung. Die Bewegung müsse langsam wachsen, um nachhaltig wirksam zu sein. Auf dem Weg dorthin durften auch kleine Erfolge gefeiert werden. Wichtig sei es, den Widerstand gegen jede Form von Unterdrückung aufrecht zu erhalten, dabei aber nur auf friedliche Mittel zurück zu greifen.
Was können Ausländer tun, um die MenschenrechtsaktivistInnen in Belarus zu unterstützen? Während amnesty international auf Postkartenaktionen und Briefe an die Regierung setzt, rät Liesegang eher zu Onlinepetitionen, deren Link sich nicht wie eine Postkarte einfach entsorgen lässt. Sehr wohl sei es aber motivierend für politische Gefangene und deren Familien, ermutigende Post von AusländerInnen zu bekommen, selbst, wenn sie diese Menschen nicht persönlich kennen. Außerdem kann man, wenn man von einer konkreten Menschenrechtsverletzung erfährt, regionale MandatsträgerInnen und Verwaltung, etwa der weißrussischen Partnerstadt des eigenen Heimatortes, anrufen und kritische Nachfragen stellen. Dies bringt zwar keinen sofortigen Wandel, zeigt den Verantwortlichen vor Ort jedoch, das ihr Handeln nicht unbemerkt bleibt. Darüber hinaus kann man im Exil lebende AktivistInnen und deren Familie finanziell unterstützen.
Generell sind alle Kontakte zwischen Menschen sinnvoll. Wiederholt appellieren Karatch und Liesegang deshalb an die EU, eine visafreie Einreise für die weißrussische Bevölkerung zu ermöglichen. Je mehr Menschen in die EU reisen könnten, desto weniger schenken sie dem negativen Bild, das die Regierung von der EU zeichnet, Glauben. Im September diesen Jahres finden in Belarus Parlamentswahlen statt. Es gilt, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht nur zu diesem Anlass auf das manchmal vergessene Land am Rande Europas zu lenken und so die Bevölkerung in ihrem Kampf für Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen.
weiterführende Links:
Ein Überblicksartikel zu den Entwicklungen der letzten Jahre von Robert Sperfeld
Nash Dom (russisch)
Deutsch-Belarussische Gesellschaft, u.a. mit einem Blog von Peter Liesegang
Länderbericht Belarus von amnesty international
Facebookgruppe der Initiative zur Freilassung des politischen Gefangenen Ales Bialiatski