Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben

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Quelle: Sylwia Mierzynska

 

Am 14. Februar begannen die Bölltage 2012, die diesmal in Weimar stattfinden. In der Halle des Weimarer Bahnhofs eröffnete die Ausstellung „Heinrich Böll – Leben und Werk“ in Anwesenheit René Bölls, Maler und Künstler und Sohn Heinrich Bölls.

Ein Bahnhof ist ein Ort des Wartens, des Vorübergehens, aber auch der Begegnung. Gute Voraussetzungen für eine Ausstellung. Das zeigte sich am 14. Februar schon vor der offiziellen Eröffnung der Ausstellung „Heinrich Böll – Leben und Werk“, die in 22 großen Rahmen Collagen aus Texten und Bildern der Lebensstationen Heinrich Bölls zeigt. Reisende verlangsamten ihren Schritt, ließen den Blick schweifen über die kleine Gruppe von Stellwänden. Besucher näherten sich, Interessierte lasen die Tafeln rege und diskutierten miteinander. So ist das Konzept auch gedacht: Man bleibt stehen, man liest sich fest. Man schaut sich Fotos an und kommt ins Gespräch.

Gut strukturiert und übersichtlich, dabei alle wichtigen Lebensstationen Bölls einbeziehend, regt die Ausstellung an zum Nachdenken, zur Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller, „Einmischer“, mit dem politisch engagierten Nobelpreisträger Heinrich Böll. Er ist bekannt als einer der deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit, die sich kritisch mit Vergangenheit und vor allem Gegenwart auseinandersetzten. Er wurde 1917 geboren, im schlimmsten Hungerjahr des Ersten Weltkrieges, er hat die Inflation in der Weimarer Republik und später Nazideutschland miterlebt. Er musste als Soldat in den Krieg für Hitler ziehen. In der Bundesrepublik wurde Heinrich Böll zunehmend als Schriftsteller anerkannt und bezog aktiv zur politischen Situation der jungen Republik Stellung. 1972 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Zur Eröffnung der Ausstellung fand sich eine Traube von etwa 60 Interessierten und Gästen ein. Sie wurden begrüßt von Oberbürgermeister Stefan Wolf, Anja Siegesmund (Aufsichtsrat der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen) und René Böll (Maler und Künstler, Sohn Heinrich Bölls).

Stefan Wolf, stolz, dass die Bölltage 2012 in Weimar stattfinden, erzählt, dass Heinrich Böll Weimar entgegen der offiziellen Annahmen tatsächlich einmal besucht habe – während eines inoffiziellen Abstechers von der Autobahn in die Stadt am 2. März 1965. Dort führte er ein Gespräch mit dem damaligen Bürgermeister. Worüber, wissen wir heute nicht mehr. Aber immerhin – Böll war in Weimar und mit den Bölltagen 2012 komme er nun endlich auch auf dem Weimarer Bahnhof an, so Wolf augenzwinkernd.

Die politisch aktive Seite des berühmten Schriftstellers betonte Anja Siegesmund und zitierte Heinrich Böll: „Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben“. „Heinrich Böll war ein Querdenker, jemand, der unbequem war. Darum geht es uns: Zu unbequemen Diskussionen anzuregen“, so Siegesmund. Und sie bringt noch ein Zitat Bölls: „Widerstand ist kein Recht, er ist eine Pflicht“. Es gäbe viele Gründe, sich mit Böll auseinanderzusetzen. Das diesjährige Programm der Böllltage biete für jede und jeden etwas, die breite Palette der Veranstaltungen spreche für sich. Und sie schließt mit den Worten: „Lassen Sie uns einmischen, ruhig auch realistisch bleiben, manchmal auch ein bisschen visionär und ganz viel miteinander diskutieren“.

Dass Heinrich Böll in erster Linie Schriftsteller gewesen sei, betont dessen Sohn René Böll in seiner Rede: „Mein Vater war kein Politiker, sondern ein politisch aktiver Künstler. Er hat bis zum Schluss den größten Wert auf seine Literatur gelegt“. Natürlich habe er sich politisch eingemischt, aber immer über sein ureigenes Werkzeug: über das Wort. René Böll erzählt, wie engagiert sein Vater im deutsch-deutschen Dialog auf künstlerischer Ebene war: „Mein Vater wollte Kollegen immer helfen. Er hat Manuskripte und Briefe geschmuggelt und Geld gegeben, aber nie groß darüber geredet“. Die Familie Böll wurde von der Stasi observiert. Aber, so Renè Böll: „Sie konnten ihn nicht ganz fassen. Er war einerseits sehr konservativ, sehr christlich, andererseits sehr freiheitlich“. Er sei gleichzeitig Katholik und links gewesen, scheinbare Widersprüche, die aber trotzdem in dieses so ausgefüllte Leben passen. René Böll führt durch die Ausstellung und beantwortet Fragen. Man merkt dem Sohn die Liebe und Verehrung zum Vater an. Die Anekdoten, die er schildert, machen den Nobelpreisträger menschlich, bringen ihn näher. Da kommt zum Beispiel die Frage aus dem Publikum, wo sich Heinrich Böll aufgehalten habe, als die Nachricht kam, dass er den Nobelpreis für Literatur erhält. „Die Familie war gerade in Athen“, berichtet René Böll. Sein Vater erhielt ein Telegramm, auf dem knapp stand: „Sie bekommen den Nobelpreis“. Er habe sich riesig gefreut, so René Böll. Heinrich Böll, der Schriftsteller, der aus seiner eigenen Lebensgeschichte heraus eine Einmischung in die Politik so wichtig fand, der immer engagiert war und trotz massiver Kritik seinen moralischen Grundsätzen treu blieb, kann auch in unserer Zeit mahnen. „Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben“ – das könnte auch Motto der Heinrich-Böll-Stiftung sein.