"Menschenzeit" - Das Ende der Apokalypse-Angst?

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Foto: kas

Der Journalist Christian Schwägerl plädiert für ein „Anthropozän“

Für Angela Merkel war das alles im vergangenen Jahr doch nur ein „Hirngespinst“. Aber genau dieses Gespinst einer schwarz-grünen Koalition schwebte über der Buchvorstellung des Spiegel-Journalisten Christian Schwägerl. Dieser könnte mit seinem Buch über die „Menschenzeit“ eine Brücke zwischen Konservativen und Grünen bauen. Dafür sprach auch, dass die Veranstaltung am 14. Juni in den Jenaer Rosensälen gemeinsam durch die Konrad Adenauer Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wurde.

Schwägerl machte zunächst ganz im Sinne der Grünen eine Tour d’Horizon durch die zukünftigen Probleme des Menschen: Der Klimawandel werde, wenn der CO2-Ausstoß nicht verringert werde, zu einer Erderwärmung um 2° Celsius führen. Das erscheine auf den ersten Blick nicht viel. Aber wenn man sich das wie die Erhitzung des menschlichen Körpers bei Fieber vorstelle, könne man die Konsequenzen für das weitaus komplexere Ökosystem der Erde erahnen.  Die Bevölkerung werde bis zum Jahr 2100 auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. Das wäre kein Problem, wenn sich der Konsum und der Ressourcenverbrauch nicht parallel dazu entwickeln würden. Bereits heute produziere die Menschheit 12 Milliarden Tonnen Abfall pro Jahr. Zudem steige mit dem Bevölkerungswachstum auch der Siedlungsbau des Menschen – bereits jetzt sei eine Fläche von der Hälfte Australiens zugepflastert. Außerdem finde ein Verlust der Artenvielfalt statt. Zwar leben in Deutschland im Vergleich zu den germanischen Wäldern weitaus mehr Arten, aber weltweit stehe eine Aussterbewelle bevor, wie es sie zwar früher auch schon gegeben hatte, die allerdings lediglich von einer einzigen der zehn Millionen Arten auf der Erde ausgelöst: Dem Menschen. Dieser gestalte sich auch die Lebensräume nach seinen Vorstellungen, so dass weltweit menschlich geprägte Räume entstehen. Schwägerl sieht in dieser Umgestaltung weniger eine Zerstörung, sondern eine Anthropoisierung von zuvor natürlichen Räumen. Heute seien nur noch 23 Prozent der Erdoberfläche nicht vom Wirken des Menschen beeinflusst.

All diese durch den Menschen ausgelösten Probleme werden aus Sicht Schwägerls zwar jeweils einzeln betont, jedoch nie in ihrer Zusammenwirkung betrachtet. Basierend auf der provokativen Idee des niederländischen Nobelpreisträgers Paul J. Crutzen plädiert er deshalb dafür, die gegenwärtige geologische Epoche nach dem Menschen zu benennen: Wir befinden uns im Anthropozän! Das klinge zunächst nach Größenwahn und Selbstüberschätzung, habe aber den Vorteil, dass damit eine Synthese all der genannten Probleme unter einer Perspektive gelinge und eine These in den Raum gestellt werde, die wissenschaftlich überprüfbar sei.  Der Begriff der Menschenzeit ist für Schwägerl zudem nicht negativ besetzt: Gerade darin spiegele sich zum einen die Chance, dass der Mensch auf diesem Planeten „heimisch“ werde, und zum anderen auch eine Bejahung des menschlichen Einflusses auf der Erde. Die grünen Umweltdiskussionen seien viel zu oft menschenfeindlich angelegt – der Mensch werde als Parasit betrachtet, der die Erde befallen hat und sie nun zerstört. Schwägerl hingegen will den Menschen lieber als Gestalter betrachten. Man könne den Fortschritt beispielsweise in der Medizin oder in der Bildung der Menschen sehen. Ein klassisches Konzert zeige den „Menschen als Gestalter“ ebenso wie die Entwicklung des Teilchenbeschleunigers CERN.

Mit dem Begriff des Anthropozän müsse die Menschheit sich allerdings den Dimensionen ihres Handelns stellen. Es beginne nun ein „Zeitalter der Verantwortung“: Ein grundlegender kultureller Wandel müsse einsetzen. Die Menschen im Westen leisten sich einen Lebensstil, der nicht globalisierbar ist: Sie zerstören den Regenwald, emittieren zu viel CO2 und essen zu viel Fleisch. Wenn die Chinesen eine „Völkerwanderung in diesen Lebensstil“ beginnen, würde die Erde endgültig zerstört werden.

Aus diesen Prognosen resultiere in Diskussionen von Umweltschützern allerdings oft ein Untergangsszenario. Gerade das will Schwägerl aber nicht, er wolle lieber einen optimistischen Ausblick geben: Er glaubt – ganz im konservativen Sinne – an die Gestaltungskraft und den Einfallsreichtum des Menschen. Man solle sich einlassen auf neue Technologien und neue durch den Menschen geprägte Kulturlandschaften. Vielleicht könne man die Idee des Anthropozäns auch positiv deuten: Wir befinden uns in der ersten Sekunde eines erdfreundlichen Zeitalters. So gelange man weg von der „Apokalypse-Angst“ zu einem „langen Jetzt“.

Die Nähe, aber auch die Distanz zwischen Grünen und Konservativen wurde in der anschließenden Diskussion wiederum deutlich. Für den christdemokratischen Landtagsabgeordneten Mario Voigt war die Bewahrung der Schöpfung das oberste Ziel. Die spannende Perspektive des Vortrags war für ihn, dass die Gestaltbarkeit der menschlichen Zukunft in Verbindung mit einem technologischen Suchen betont wurde.

Man dürfe allerdings nicht in einen blinden Technikglauben verfallen, entgegnete die grüne Landtagsabgeordnete Anja Siegesmund. Wo lägen denn die Grenzen der Technik? Das verschweige Schwägerl doch in seinem Buch aus ihrer Sicht. Beispielsweise komme es beim Einsatz von grüner Gentechnik immer schneller zu Schädlingsresistenzen der Pflanzen. Man müsse zwar weiter forschen, aber auch eine gesunde Skepsis gegenüber neuen Technologien bewahren.

In der Energiepolitik hatten sich die Konservativen und die Grünen zwar durch die „Energiewende" der Bundeskanzlerin angenähert, allerdings besteht in der Geschwindigkeit des Umstiegs noch ein wesentlicher Unterschied. Voigt plädierte für eine „realistische Perspektive“, für einen Umstieg mit „Augenmaß“. Bei der Wärmedämmung der Häuser werde man beispielsweise in Thüringen mit seinen ländlichen Strukturen und der älteren Bevölkerung keine großen Erfolge erwarten können. Siegesmund hingegen fragte, ob denn dieses konservative Augenmaß nicht nur ein anderer Ausdruck für Augenwischerei sei: Man könne nicht nur „Keine Atomkraft“ sagen, sondern müsse gleichzeitig auch Ja zu den regenerativen Energien sagen, beispielsweise auch zur Windkraft. An dieser strittigen Frage spaltete sich letzten Endes auch das Publikum.

So war die Brücke für Schwarz-Grün, die Schwägerl mit seiner Mischung aus Umweltschutzgedanken und Fortschrittsglauben gebaut hatte, auf der politischen Ebene am Ende doch wieder in weite Ferne gerückt.