Kein Platz für Jungbauern? Die Zukunft der ostdeutschen Landwirtschaft

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Foto: Günter Havlena / pixelio.de

Am 9. April 2013 stellte Michael Beleites in Erfurt seine Denkschrift "Leitbild Schweiz oder Kasachstan?: Zur Entwicklung der ländlichen Räume" vor. Im Anschluss diskutierte er mit Dr. Frank Augsten (Thüringer Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen), moderiert von Olaf Möller (Heinrich-Böll-Stiftung).

Michael Beleites hat einen hehren Anspruch: Er will den ökologischen Gründungsimpuls der Grünen in der Landwirtschaft wieder beleben und endlich die Kleinbauern im Osten stärker fördern. Beleites ist studierter Landwirt und war einer der Mitbegründer der Umweltbewegung in der DDR. Momentan orientiere man sich im Osten bei der Förderung zu sehr an kasachischen Steppenlandschaften, statt an dem für Thüringen näherliegenden Modell des Schweizer Kleinbauerntums. Steppenlandschaften sind für ihn kein landwirtschaftliches Zukunftsmodell.

Diskussionen über die Landwirtschaft in Deutschland sind oft nur sehr eingeschränkt möglich, da die landwirtschaftlichen Strukturen in Ost und West sehr verschieden sind: In Westdeutschland bewirtschaften nur etwa ein bis zwei Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe mehr als 500 Hektar Land. In Ostdeutschland haben Großbetriebe mit mehr als 500 Hektar Land dagegen einen Anteil von mehr als zwei Dritteln. In Thüringen beträgt der Anteil sogar 73 Prozent. Im Westen herrscht somit eine klassische kleinbäuerliche Struktur mit mehr Beschäftigten vor, im Osten bewirtschaften zumeist Agrargenossenschaften enorme Flächen mit weniger Beschäftigten.

Diese Entwicklung ist eine Folge der DDR-Agrarpolitik nach dem zweiten Weltkrieg. Große landwirtschaftliche Güter gab es zwar bereits im Nordosten, in Sachsen und Thüringen war die Landwirtschaft jedoch eher kleinbäuerlich strukturiert. In den 1960er Jahren begann die Kollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft: 850000 Bauern wurden in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) überführt und zum Teil auch gezwungen. Nach der Wende hätte es die Möglichkeit gegeben, die LPGs aufzulösen und wieder verstärkt kleinbäuerliche Strukturen zu schaffen. Allerdings war da bereits eine Generation von Bauern verloren gegangen, so dass die aus den LPGs entstandenen Agrargenossenschaften letztlich die meisten Flächen übernahmen.

An dieser Situation hat sich, laut Beleites, seit 20 Jahren nichts geändert. Kleinbetriebe seien im gegenwärtigen System strukturell benachteiligt. Es herrsche eine Bodensperre: „Jeder hält an jeder Fläche fest, egal, ob er sie braucht.“ Das müsse man ändern. Junge Nachwuchsbauern haben im Osten keine Chance, sich einen Hof zu kaufen, weil die Agrargenossenschaften das Land nicht freigeben. Ein solches starres System kann weder innovativ sein noch auf die aktuellen Herausforderungen reagieren: Wie schafft man eine ökologische Kreislaufwirtschaft? Wie kann regionale Versorgungssouveränität hergestellt werden?

Diesen Einschätzungen widerspricht Frank Augsten auf dem Podium vehement. Augsten ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Thüringischen Landtag. Man dürfe nicht damit anfangen, groß gegen klein auszuspielen. Großbetriebe seien nicht automatisch schlecht und kleinbäuerliche Höfe nicht automatisch gut. Man müsse stattdessen auf die Qualität der Produkte und die Auswirkungen auf die Umwelt schauen. In seinen Augen muss eine richtige Agrarpolitik die Guten belohnen und die Schlechten bestrafen – unabhängig von der Größe des Betriebes. Auch die von Beleites beschriebene Bodensperre würde Augsten anders lösen: Da man neues Land nicht einfach schaffen könne, sondern es immer jemandem weggenommen werde müsse, rät er Jungbauern dorthin zu gehen, wo es noch verfügbares Land gibt. In Baden-Württemberg beispielsweise suchen viele Bauern händeringend Nachfolger für ihre Bauernhöfe.

Diese Argumentation sei doch alt, entgegnete Beleites auf dem Podium: Dass es egal sei, ob groß oder klein, sondern es stattdessen auf die Qualität ankomme, so sei in den letzten 20 Jahren immer argumentiert worden. Diese Position sei allerdings nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen so seien, dass jeder die Chance habe einzusteigen, wenn eine gewisse Chancengerechtigkeit herrsche. In den letzten 20 Jahren war das nicht gegeben: Die Großen haben von den eingefrorenen Strukturen klar profitiert. Seit 1992 gebe es kaum neue Betriebe, die Biobauern seien immer dieselben. Doch mittlerweile organisieren sich die Jungbauern und fordern ihr Recht ein, auch im Osten Land zu kaufen. „Die Zeit, in der die öffentliche Stimmung eingefroren war, ist vorbei“, prophezeit Beleites.

Das zu Grunde liegende Problem sind die Subventionen der Europäischen Union. Sie beziehen sich seit den 90er Jahren nicht mehr auf das Produkt, das ein Bauer produziert, sondern auf die Fläche, die er bewirtschaftet. Die Großbetriebe im Osten profitieren von dieser Regelung. Laut Beleites folgen die Subventionen dabei dem Motto: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Das habe zu der beschriebenen Bodensperre geführt. Man kämpfe aufs Messer um jeden Quadratmeter. Deshalb will Beleites die Flächensubventionen für alle abschaffen.

Das sei auch im Sinne der Bauern, betonte ein Vertreter der Agrargenossenschaften aus dem Publikum. Die Bauern wollen für ihr Produkt bezahlt werden und nicht für die Fläche. Momentan wirke es für die Bevölkerung so, als ob sich die Bauern komplett von der EU subventionieren ließen. Dabei sei es der Wunsch des Staates, dass die Lebensmittelpreise niedrig blieben. Deshalb fließen die Subventionen an die Bauern. „Wir wollen von unserem Produkt leben können und dafür bewertet werden.“ Deshalb prophezeit Augsten, dass die Lebensmittelpreise in Zukunft steigen werden müssen. Wichtig sei es dann, zu vermitteln, dass das gut ist – auch für die deutschen Bauern. Das das zumindest für die deutschen Verbraucher schwierig werden könnte, verdeutlicht Beleites an einem Vergleich: In Frankreich fahre man eher mit einer klapprigen alten Ente beim Gourmet- oder Bioladen vor, in Deutschland fahre man stattdessen mit dem Mercedes beim Aldi vor.

Die Problematik der Flächensubventionen wird gegenwärtig auch auf EU-Ebene diskutiert. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Länder, in deren Rahmen die Subventionen vergeben werden, wird gerade für die Jahre 2014 bis 2020 verhandelt. Nach bisherigem Stand der Diskussionen soll ein Teil der Subventionen (30 Prozent) an Umweltauflagen geknüpft werden: Die Anpflanzung von mehreren verschiedenen Feldfrüchten, die Erhaltung von Dauergrünland und die Einrichtung einer ökologischen Fläche, auf der weder mit Pestiziden noch mit Düngemitteln angebaut wird. Zudem soll eine Kappung der Subventionen für einzelne Betriebe ab einer Höchstsumme eingeführt werden.

Diese Kappung schade den Großbetrieben in Ostdeutschland, betont Augsten. In seinen Augen wäre es sinnvoller gewesen, eine solche Regelung an die effektiven Lohnkosten zu knüpfen, da die Agrargenossenschaften sehr effizient arbeiten. Die Umweltauflagen hingegen kommen den Großbetrieben vielleicht sogar zu Gute, betonte ein Redner aus dem Publikum: Große Agrargenossenschaften könnten es sich oftmals eher leisten, einen Teil ihrer Äcker als ökologische Anbaufläche zu nutzen, da sie von einem möglichen Misserfolg nicht existentiell betroffen seien.

Eine große Gefahr sahen alle Beteiligten darin, dass sich vermehrt Investoren und Hedgefonds landwirtschaftliche Flächen kaufen. Seit Beginn der Finanzkrise habe die Bedeutung von Land als Investitionsobjekt immer stärker zugenommen. Wenn in dieser Situation landwirtschaftliche Betriebe Pleite gehen, kann das Land an die meist bietenden Investoren verpachtet werden. Das Land käme dann in die Hände von Leuten, die kein Interesse an der Landwirtschaft mehr haben.

Umstritten war jedoch, welche Rolle die Großbetriebe im Osten dabei spielen. Das Aufkaufen von Land durch Investoren ist in Beleites Augen eher ein ostdeutsches Phänomen. Nur im Osten gebe es große, zusammenhängende Ländereien, die für Spekulanten interessant wären. Im Westen verhindere die kleinteilige Struktur eher das Aufkaufen des Landes durch Kapitalgesellschaften. Im Gegensatz dazu sagen die Agrargenossenschaften, dass gerade sie es seien, die das Land vor dem Zugriff der Investoren schützen, indem sie die Pächter bei Übernahmeversuchen informieren. Die Bodensperre würde so nicht nur den Zugang der Jungbauern verhindern, sondern auch das Einkaufen landwirtschaftsfremder Spekulanten verhindern.

Vor dem Hintergrund, dass viele kleinbäuerliche Betriebe in Westdeutschland überaltert sind und kaum Nachfolger finden können, prophezeit Augsten, dass sich die Agrarwirtschaft in Deutschland insgesamt zu großflächigeren Strukturen entwickeln wird – so wie dies im Osten schon der Fall ist. „In Thüringen und Sachsen existieren heute bereits die Strukturen, auf die andere in Zukunft erst hinarbeiten werden.“

Das will Michael Beleites verhindern: Die „auf Steppenlandschaft gebürstete Landwirtschaft in Ostdeutschland“ sollte nicht definieren, was gut und effektiv ist. Gerade mit dem Wissen um die Begrenztheit der Ressourcen unseres Planeten müsse man in Zukunft über andere landwirtschaftliche Strukturen nachdenken. Beispielsweise wäre es möglich, regionale Versorgungssouveränität mit Hilfe von dezentralen Strukturen und kleineren Einheiten zu erzeugen. Es könnten neue, innovative Fruchtfolgen entwickelt werden, um die Fruchtbarkeit der Äcker zu erhöhen. Das bäuerliche Prinzip könnte im Denken der Menschen wieder stärker verankert werden: Der Zusammenhalt von Wohnen und Arbeiten, die generationenübergreifende Verantwortung für den Hof oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Beleites will damit den Gründungsimpuls der Grünen wieder in Erinnerung rufen und dafür plädieren, dass die Menschen selbst entscheiden sollten, wie sie zukünftig leben wollen.