Ökonomie der Nachhaltigkeit

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Quelle: Tony Hegewald_pixelio.de

Braucht unsere Gesellschaft noch Wachstum? Und wenn ja, welche Art von Wachstum? Wie können Wachstum und Nachhaltigkeit zusammengehen? Wie kommt man von der vorhandenen ökonomischen wie politischen Fixierung auf eine Steigerung des Bruttoinlandprodukts weg? Wie könnte man Wohlstand alternativ messen? Und brauchen wir dafür nicht auch ein neues Verständnis von Wirtschaftswissenschaft? Diese Fragen wurden auf der Tagung zur „Ökonomie der Nachhaltigkeit“ von Volkswirtschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutiert. Die Tagung wurde organisiert von der Fachhochschule Jena und der Heinrich-Böll-Stiftung.

Den Einstiegsvortrag hielt Peter Bofinger von der Universität Würzburg, der Sachverständiger der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist. Da er kein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet sei, könne er lediglich einen groben Überblick über die wichtigsten Aspekte einer Ökonomie der Nachhaltigkeit geben. Für Bofinger war Nachhaltigkeit dabei fast gleichzusetzen mit langfristigem Denken. Diese Fähigkeit zum langfristigen Planen deklinierte er für Deutschland von der Mikro- zur Makroebene durch.

Auf der Unternehmensebene habe es in Deutschland durch das „Erfolgsrezept Mittelstand“ lange Zeit eine Art des nachhaltigen Wirtschaftens gegeben, die durch die familiären Besitzstrukturen vieler Unternehmen und die geringe Abhängigkeit vom Kapitalmarkt gekennzeichnet sei. Auch auf der Ebene der Unternehmensfinanzierung habe Deutschland Glück gehabt, da es in der Finanzkrise neben den Großbanken auch die Sparkassen und die Volksbanken gegeben habe, die nachhaltiger gewirtschaftet haben und nicht auf kurzfristige Gewinne am Finanzmarkt spekuliert haben. Diese gewachsenen Strukturen sollten aus seiner Sicht erhalten und gestärkt werden.

Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene sieht Bofinger zwei Probleme: Zum einen sinke die Zustimmung der Bevölkerung zum Modell der Marktwirtschaft. Dies sei auch verständlich, da die Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten vom Zuwachs des Wohlstands abgekoppelt worden sind. Zum anderen werde in Deutschland keine nachhaltige Wirtschaftspolitik mehr betrieben. Es habe in den letzten Jahren eine zunehmende Fixierung auf die defensive Komponente der Nachhaltigkeit stattgefunden: Auf die Schulden. Die offensive Komponente, die Investitionstätigkeit des Staates, werde sogar explizit durch die Schuldenbremse unterbunden.

Um eine nachhaltigere Wirtschaftspolitik zu betreiben, müsste in vielen Bereichen ein Umdenken stattfinden: So sollten die Bürger nicht mehr gegen den Staat in Stellung gebracht werden, indem vermittelt werde, dass der Staat die Bürger mit seinen Steuern schröpft. Stattdessen sollte eine „Bürgerabrechnung“ eingeführt werden, in der der Staat transparent macht, was mit den Abgaben der Bürger geschieht. So könnten auch höhere Steuern erhoben werden, um nachhaltige Zukunftsinvestitionen wie beispielsweise Bildungsausgaben zu finanzieren. Zudem müsse ein neues Verständnis von Wohlstand entwickelt werden, das nicht nur den materiellen Wohlstand einbezieht, sondern auch die ökologische Nachhaltigkeit und den nicht-materiellen Wohlstand wie zum Beispiel Glück, Bildung, Gesundheit.

Genau diese Frage einer Neudefinition von Wohlstand wurde auf der Tagung intensiv diskutiert. Um die neu zu entwickelnden Indikatoren zu verstehen, müsse man sich jedoch zunächst den alten Indikator anschauen, erklärte Nina Michaelis, Professorin an der Fachhochschule Münster: Das Bruttoinlandsprodukt. Dieses sei eigentlich ein Maß der Produktion und nicht geeignet mehr als das zu erfassen, das habe selbst der Erfinder des BIP, Simon Kuznets, schon erkannt. Dennoch besitze es ein paar „charmante Eigenschaften“, die es für Überinterpretation interessant machen: Es ist relativ  einfach zu berechnen, international vergleichbar und für die Politik attraktiv, da man scheinbar Erfolg direkt ablesen kann. Allerdings berücksichtigt es weder die Arbeits- noch die Einkommensbedingungen, unter denen es erwirtschaftet wird. Außerdem werden beispielsweise Umweltschäden oder -katastrophen und auch hoher Ressourcenverbrauch positiv im BIP eingerechnet. Als Maß für eine nachhaltige Entwicklung sei es daher kaum tauglich. Ein solches Maß müsse mindestens drei Dimensionen abdecken: Die ökonomische, die ökologische und die soziale. Außerdem müsse es die Grenzen des natürlichen Wachstums berücksichtigen. Michaelis präsentierte daher Möglichkeiten, wie man die Messung der Nachhaltigkeit verbessern könnte. Man könnte zum einen die Berechnungsgrundlage des BIP verbessern. Das werde auch bereits getan. Die Umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR) werde bereits vom Statistischen Bundesamt erhoben und soll die umweltpolitische Blindheit des BIP verringern. Allerdings ist die UGR nahezu unbekannt und es werden weder die Grenzen des Wachstums noch die soziale Ebene berücksichtigt. Ein anderer Weg sei der Vorschlag der von Nicholas Sarkozy eingesetzten Kommission zur Messung der ökonomischen Leistung und sozialen Fortschritts. Der in dem Bericht entwickelte Index bestehe nicht nur aus einem einzelnen Indikator, da nicht alles monetarisierbar sei, sondern integriere auch Faktoren wie die objektive und die subjektive Lebensqualität. In Deutschland wurde zu dieser Frage ebenfalls eine Enquete-Kommission eingesetzt. Allerdings werde dort versucht, nur einen einzigen Indikator zu finden. Die Kommission wurde jedoch erst im Januar dieses Jahres eingesetzt.

Schon weit länger forscht Roland Zieschank, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin, an einer Verbesserung der Aussagefähigkeit des BIP. Gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Diefenbacher entwickelte er den Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI). Dieser basiert auf dem BIP, korrigiert diesen aber um einige Kennziffern: Zum einen werden bestimmte bisher nicht erfasste Tätigkeiten hinzugerechnet wie ehrenamtliche Arbeit und Hausarbeit, zum anderen werden bestimmte Faktoren herausgerechnet, die im eigentlichen Sinne nicht zur Wohlfahrtssteigerung beitragen, beispielsweise der Drogenkonsum oder die Kriminalität. Seit dem Jahr 2002 fällt der von ihm berechnete Nationale Wohlfahrtsindex, da die privaten Einkommen stagnierten und der Ressourcenverbrauch und die Schadstoffemissionen gestiegen seien.

Dieser Ansatz einer Neuberechnung war auf der Tagung umstritten. Die anwesenden Ökonomen wollten sich kaum vom BIP als Indikator für Wohlfahrt lösen: Das BIP sei international vergleichbar und werde von der Bevölkerung besser verstanden, die Indikatoren des NWI seien willkürlich und von den Staaten manipulierbar, außerdem sei eine Veränderung politisch kaum durchsetzbar. Zieschank verwies auf die international bereits stattfindende Forschung zu einer Wirtschaftswissenschaft „Jenseits des BIP“ und entgegnete, dass ihm bewusst sei, dass das Ganze im Einzelnen angreifbar ist, wenn man jedoch nicht mit der Forschung zu einer Weiterentwicklung der Wohlfahrtsmessung beginne, werde man auch keine besseren Lösungen finden. Der NWI sei nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zum BIP gedacht. Zudem sei das BIP auch nur eine historisch entstandene soziale Konvention und nicht von Gott gegeben.

Eine andere strittige Frage der Konferenz war, ob nachhaltiges Wirtschaften auch ohne Wachstum möglich sei. Zieschank verwies darauf, dass Wachstum aus ökologischer und sozialer Sicht immer ambivalent sei. Wenn man beispielsweise die Ressourcenproduktivität steigere, würden weniger Rohstoffe verbraucht, was sich negativ auf das Wachstum auswirke, aber ökologisch sinnvoller sei.  Niko Paech, Professor in Oldenburg, sah in Wachstum und Nachhaltigkeit sogar einen Gegensatz. Solange beispielsweise Passivhäuser oder Windräder zum vorhandenen nicht nachhaltigen Bestand hinzu addiert würden, verschlechtere sich die Nachhaltigkeitsbilanz der Gesellschaft sogar, da die Produktionskosten ebenfalls in die Bilanz einberechnet werden müssten. Passivhäuser sind aus seiner Sicht nur dann nachhaltig, wenn alter Bestand modernisiert wird, und Windräder nur dann, wenn dafür andere Stromkapazitäten abgebaut werden. Die Wirtschaft dürfe nicht mehr wachsen, sie müsse stattdessen  effizienter und konsistenter werden, um eine höhere Nachhaltigkeit zu erreichen.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger beantwortete in seinem Einstiegsvortrag die Frage, ob Wohlfahrt auch ohne Wachstum funktioniere, süffisant so: „Ja! Deutschland hat es doch bewiesen! In der letzten Dekade gab es insgesamt nur ein minimales Wachstum von 0,5%.“ Allerdings war diese Phase auch nicht nachhaltig, wie auf der Fachtagung mehrfach belegt wurde: Es war Wohlfahrt ohne Wachstum – aber auch ohne Nachhaltigkeit.