50 Cent von 100 Euro. Über das globale Geschäft mit Sportartikeln

Der Markt ist riesig. 50 Milliarden Euro werden jährlich weltweit für Sportartikel ausgegeben. 60 Millionen Fußbälle werden beispielsweise jährlich in Handarbeit produziert. In einem Jahr mit einer Fußball-WM sogar etwa 80 Millionen – für jeden Deutschen einen. Die meisten Fußbälle werden dabei in Pakistan hergestellt. Bis zu zehn hochwertige Bälle kann ein Arbeiter am Tag nähen, pro Ball bekommt er etwa 50 Cent. In Deutschland wird der Ball dann für 80-100 Euro verkauft.

Die großen Markenunternehmen, die den Sportartikelmarkt dominieren, machen dabei gute Gewinne. Die Aktie des weltweit größten Sportartikelherstellers, Nike, hat beispielsweise in den letzten fünf Jahren 60 Prozent an Wert gewonnen und der Umsatz wurde um reale neun Prozent gesteigert. Die realen Löhne der Arbeiter, die die Schuhe oder die Sportbekleidung herstellen, sind jedoch in den meisten Fällen im gleichen Zeitraum nicht angestiegen. 

Es sind jedoch nicht nur die bekannten Markenfirmen, die von den Arbeitsbedingungen in dieser Industrie profitieren. Das Zusammenspiel der Akteure ist wesentlich komplexer. Drei Parteien gibt es in diesem Markt: Die Marken, ihre Zulieferer und die Einzelhändler. Die Markenhersteller sind die weltweit bekannten Produzenten von Sportartikeln wie Nike, Adidas oder Puma. Mit riesigen Werbeetats versuchen sie als Sponsoren oder Teamausrüster ihre Marke bei internationalen Events oder bei einzelnen Vereinen zu platzieren. Sie produzieren allerdings nicht mehr selbst, sondern lassen ihre Waren von verschiedenen Zulieferern fertigen. Diese Zulieferer sind mittlerweile ebenfalls zu Global Playern geworden. Der weltgrößte Sportschuhhersteller Yue Yuen macht beispielsweise mehr Umsatz als die Marken Adidas oder Puma selbst. Yue Yuen verfügt über weltweite Produktionsstandorte  und beliefert nahezu alle großen Schuhmarken. Die Marken wählen nur noch einen Produzenten und geben ihm das jeweilige Produkt und das Design vor. Da die Markenfirmen selbst nur sehr wenige Verkaufsläden besitzen, übernehmen große Warenhausketten wie Karstadt oder Sporthändler wie Intersport den letztendlichen Vertrieb der Schuhe. Je nach der Größe und Vertriebsstruktur verhandeln diese Einzelhändler mit den Marken direkt oder mit den Zulieferern selbst. In letzter Zeit kam zu diesem Dreiergespann ein weiterer Akteur hinzu: Die sogenannten Sourcing-Agenturen. Diese besitzen keine eigenen Produktionskapazitäten, sondern sind hauptsächlich im asiatischen Raum als logistische Dienstleister tätig, indem sie die Produktionskapazitäten der Zulieferer an die Markenfirmen und die Einzelhändler vermitteln.

Unter welchen Arbeitsbedingungen und zu welchem Preis Sportbekleidung und Sportgeräte entstehen, wird also in einem komplexen Zusammenspiel sehr verschiedener Akteure entschieden. Die Markenhersteller pflegen also ihre Marke durch Werbung und gestalten das Design der Produkte, die sie dann von Zulieferern, die ihnen zum Teil durch Sourcing-Agenturen vermittelt werden, produzieren lassen, und die wiederum von Einzelhändlern in ihrem Filialnetz verkauft werden.

Bereits in den 90er Jahren wurden die so entstandenen Produktionsbedingungen der Sportbekleidung in den Medien hinterfragt. Die globalen Markenfirmen wurden durch mehrere Berichte über skandalöse Ausbeutungspraktiken in den Werken ihrer Hersteller daran erinnert, dass sie auch eine soziale Verantwortung für die Produktion ihrer Waren tragen. Im Jahr 2003 wurde im Anschluss daran von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen die „Play-Fair“-Kampagne gestartet, um auf die Hintergründe der Produktion von Sportbekleidung aufmerksam zu machen und für „saubere“ olympische Spiele 2004 zu werben. Ein Jahr später kamen die größten Markenfirmen, die Gewerkschaften und diese Initiative an einem runden Tisch zusammen und einigten sich auf ein Arbeitsprogramm, mit dem die Produktionsbedingungen in den Fabriken verbessert werden sollten.

Im Jahr 2008 evaluierte die Play-Fair-Initiative die Erfolge dieses Arbeitsprogramms. Die skandalösesten und markenschädigendsten Zustände, wie beispielsweise Kinderarbeit bei der Produktion von Fußbällen oder extreme Überstunden in der Sportschuhproduktion, waren mittlerweile von den Markenfirmen erfolgreich bekämpft worden. Trotz dieser Anstrengungen wurden weder die niedrigen Löhne der Zulieferer in Frage gestellt noch die Einrichtung von Arbeitnehmervertretungen aktiv unterstützt. Die Markenunternehmen laufen mit ihren Bemühungen und ihren Kontrollen zunehmend ihren Zulieferern hinterher.

Ausbeutung findet hauptsächlich auf der Ebene der Zulieferer statt. Die Zulieferer verhindern vehement die gewerkschaftliche Organisation ihrer Arbeiter. Auf diese Weise sorgen sie dafür, dass die skandalösen Arbeitsbedingungen nicht thematisiert und verbessert werden können: Die meisten Arbeiter haben beispielsweise nur sehr befristete oder gar keine Verträge. Sie arbeiten in den Fabriken 12-13 Stunden am Tag und werden dafür sehr gering entlohnt – meist sogar unter dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn des jeweiligen Landes.

Die Versuche der Markenunternehmen, die in diesen Fabriken fertigen lassen, die dortigen Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind meist nur wenig erfolgreich. Sie lassen die Fabriken und die jeweiligen Zustände von unangekündigten Inspektoren untersuchen. Doch diese Methode funktioniert kaum, da die Werksleiter ihre Angestellten instruieren, die Inspektoren zu belügen und ihnen mit Sanktionen drohen, falls sie die Wahrheit sagen. Zum Teil werden sogar zwei verschiedene Gehaltsabrechnungen angefertigt: Eine (höhere) für das Markenunternehmen und eine (reale) für den Arbeiter. Selbst wenn in einem Werk Verbesserungen bei den Löhnen durchgesetzt werden oder eine Gewerkschaft gegründet wird, können die global aufgestellten Zulieferer dies noch immer umgehen, indem sie die Produktion verlagern und das Werk schließen.

Die Markenunternehmen sind jedoch nicht nur Opfer in diesem Prozess. Mit ihrer Vergabepraxis können sie Einfluss auf die Produktionsbedingungen nehmen. Sie diktieren den Zulieferern die Preise und vergeben die Aufträge. Die gesamte Sportartikelindustrie ist allerdings einem Geschwindigkeitswahn erlegen: Sie setzt kaum auf Lagerhaltung, sondern auf das schnelle Wechseln von Sortimenten und Kollektionen. Da die Nachfrage nach Sportartikeln aber starken saisonalen Schwankungen unterliegt, führt dies zu kurzfristigen Großaufträgen mit geringen Lieferzeiten. Dies verstärkt die Nutzung von prekären Beschäftigungsverhältnissen bei den Zulieferern. Durch langfristigere Planungen und Verträge könnten die Markenhersteller und die Einzelhändler den Druck von den Zulieferern nehmen. Ob allerdings höhere Preise, die die Markenunternehmen auch zahlen könnten, letztendlich an die Arbeiter weitergegeben werden, ist fraglich. Durch die lange Kette an Unternehmen und Subunternehmen könnte dieser Betrag verloren gehen. Außerdem beliefern einzelne Werke ganz verschiedene Unternehmen, was die Durchsetzung eines einheitlichen Lohns zusätzlich erschwert. Eine solche Verbesserung kann somit nur bei stabileren und langfristigeren Geschäftsbeziehungen durchgesetzt werden.

Im Sportschuhmarkt sind solche Strukturen bereits gegeben: Es gibt klar erkennbare Großakteure, beispielsweise das oben genannte Unternehmen Yue Yuen, und feste Lieferbeziehungen zwischen den Akteuren. Die Produktion kann zudem aufgrund der aufwändigen Herstellung nicht beliebig verlagert werden. In diesem Markt könnten daher von den Markenunternehmen und den Gewerkschaften deutliche Verbesserungen erreicht werden.

Der Sportbekleidungsmarkt befindet sich im Gegensatz dazu gerade im Umbruch. Im Jahr 2004 lief das Welttextilabkommen aus, das Exportquoten für Textilien aus den einzelnen Ländern festlegte, um einen langsamen Abbau der heimischen Textilindustrien zu gewährleisten. Aufgrund der festgelegten Exportquoten war die Produktion auf sehr viele Länder verteilt. Mittlerweile finden hier aber starke Konzentrationsprozesse statt. Erstaunlicherweise könnten gerade diese Entwicklungen nun für bessere Arbeitsbedingungen sorgen: Da kleinere Zulieferer weniger Verhandlungsmacht besitzen und im Wesentlichen über den Preis konkurrieren müssen, lassen sich in diesen Unternehmen kaum Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erreichen. Bei größeren Zulieferern könnten die Markenhersteller dann gezielter bessere Produktionsbedingungen einfordern. Sie könnten sich auch ganz explizit für Produktionsstandorte stark machen, in denen gewerkschaftliche organisierte Tarifverhandlungen stattfinden, in denen ortsübliche Mindestlöhne gezahlt werden und in denen keine prekären Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden.

Die Konsumenten selbst können durch ihre Kaufentscheidungen ebenfalls Einfluss auf die Produktionsbedingungen der Sportprodukte nehmen. Ein guter Indikator für ein unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestelltes Produkt ist das Fairtrade-Symbol. Bei Fußbällen gibt es mehrere Marken, die solche Bälle im Repertoire haben, beispielsweise Derbystar oder Puma. Indem solche Produkte häufiger gekauft werden, kann den Markenfirmen noch stärker verdeutlicht werden, dass auch die Konsumenten großen Wert auf gerechte Arbeitsbedingungen legen.

Weitere Informationen unter:  http://www.playfair2008.org/docs/Die_Hurden_uberwinden.pdf