Ralf Fücks hat sich in Rage geredet: Wieso müsse man Ökologie immer mit Verzicht, Einschränkung und Reglementierung gleichsetzen? Wieso überall dieser Öko-Calvinismus und diese Katastrophendiskurse? Wie kann man nur glauben, dass privatistische Lebensstiländerungen die Welt verbessern könnten? Auf diese Weise ändere sich doch nichts! Stattdessen könnte man doch den Begriff „Ökologie“ endlich mal positiv besetzen, ihn mit einem Anders und einem Besser verbinden! Man würde nicht in eine Welt voller Gefahren blicken, sondern eine Welt voller Möglichkeiten sehen! Eine Welt, die von den Menschen gestaltet werden kann!
Doch langsam. Am Anfang des Abends diagnosiziert Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, zunächst eher nüchtern eine Schizophrenie im grünen Wachstumsdiskurs: Zum einen gebe es dort Passagen, die sich sehr kritisch mit Wachstum auseinandersetzen, zum anderen würden aber durch sozialpolitische Forderungen gleichzeitig Ansprüche auf zukünftiges Wachstum erhoben. Dass man heutzutage noch eine Anti-Wachstumspolitik betreiben könne, sagt er zugespitzt, sei nur noch eine „saturierte Mittelstands-Illusion“, die den globalen Herausforderungen nicht gewachsen sei.
Das globale Wachstum lasse sich nicht mehr aufhalten: Allein in den kommenden zwanzig Jahren stehe eine Verdoppelung der Weltwirtschaft bevor. Diese werde ausgelöst durch Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben: Das Wachstum der Weltbevölkerung und eine rasch wachsende globale Mittelklasse, die nach Konsum und Mobilität des modernen westlichen Menschens strebe. Wenn die Weltwirtschaft aber so weiter wachse wie bisher, dann würden die Lebensgrundlagen auf der Erde zerstört – das Artensterben würde weiter zunehmen ebenso wie die Konkurrenz um fruchtbares Land und Trinkwasser. Da das Wachstum der Weltwirtschaft nicht mehr aufzuhalten sei, sei also die Frage nicht mehr „Ob“, sondern nur noch „Wie“ die Weltwirtschaft wachse. Und hierbei könnte Europa eine entscheidende Rolle spielen: „Wir sollten uns nicht mehr in global illusionäre Antiwachstumsdebatten verstricken, sondern Europa zum Vorreiter einer grünen industriellen Revolution machen.“ Die Frage sei, ob es gelinge, die Innovationen der Zukunft in ökologische Bahnen zu lenken und den Märkten damit „ökologische Leitplanken“ zu setzen.
Wie diese Leitplanken aussehen könnten, skizziert Fücks wie folgt: Es könnte beispielsweise eine Kreislaufwirtschaft entwickelt werden, die sich am so genannten Cradle-to-Cradle Ansatz orientiert. In diesem Ansatz wird die Produktion von Waren so geplant, dass Abfälle wie auch eine ineffiziente Nutzung von Energie vermieden werden. Der Übergang zu erneuerbaren Energien ist ebenfalls eine Möglichkeit des intelligenten Wachstums: Ziel der Bionik könnte es beispielsweise sein, eine Ökonomie zu entwickeln, die vollständig auf der Fotosynthese basiert.
Wie die zukünftigen Produkte und Produktionsweisen letztendlich aussehen werden, ist noch nicht klar. Für Fücks ist aber klar, dass man aufgrund des zunehmenden Wachstums nicht in einen Katastrophendiskurs über die Endlichkeit der Ressourcen verfallen, sondern viel eher die Möglichkeiten der Zukunft betonen sollte. Für ihn gebe es zwar auch ökologische „Grenzen des Wachstums“, was hingegen aber regelmäßig unterschätzt werde, sei das „Wachstum der Grenzen“. Menschliche Zivilisation sei gekennzeichnet durch das beständige Erweitern der Grenzen, die uns gegeben seien. Und da sei eben Innovation der treibende Motor. Und nicht, wie viele Grüne glauben, der individuelle Wandel von einem verschwenderischen zu einem ressourcenschonenderen Lebensstil. Wenn beispielsweise die Aufgabe bestehe, bis zum Jahr 2050 90 Prozent an Kohlendioxid einzusparen, dann könne dies nicht über Lebensstilreformen gelingen.
Skepsis gegenüber Innovationen
Hans Diefenbacher von der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinde kehrt das Argument von Fücks um: Gerade wir müssen unseren Lebensstil ändern, damit die aufstrebenden Entwicklungsländer sich an diesem neuen ressourcenschonenderen Lebensstil orientieren und nicht alle Fehler und Umwege der Industrieländer wiederholen. Bisher orientieren sie sich in ihrem angestrebten Lebensstil in seinen Augen zu stark an amerikanischen und europäischen Vorabendserien. In Europa müsse man sich für die Zukunft eher überlegen, was man wirklich brauche und wie man die Produktionsweisen effizienter organisieren könne.
Der Vorstellung, dass man einfach so weiter konsumieren könne und die zukünftigen Innovationen die Risiken schon auffangen werden, stand Diefenbacher eher skeptisch gegenüber. Man müsse auch immer die negativen Konsequenzen von Innovationen berücksichtigen. Beispielsweise wurde die Atomkraft in den 50er und 60er Jahren euphorisch als neue Technologie der emissionsfreien, sauberen und sicheren Energiegewinnung eingeführt. Heute hingegen wisse man durch die Erfahrung im Umgang mit radioaktivem Müll und den zahlreichen Reaktorunglücken, dass es weder eine saubere noch eine sichere Technologie ist.
Außerdem bezweifelte Diefenbacher, dass es bei ökologischen Umsteuern, wie es Fücks erhofft, tatsächlich noch Wirtschaftswachstum geben werde. Da Politiker sich aber am kurzfristigen Wachstum orientieren müssen, um wiedergewählt zu werden, sei ein solches Umsteuern schwierig. Stattdessen müsse man erst einmal die gesellschaftliche Fixierung auf steigendes Wachstum lösen und andere Indikatoren zur Messung des Fortschritts entwickeln (siehe Artikel zum RWI).
Fünf Wege aus der Krise
Diese gesellschaftliche Fixierung auf Wachstum bezeichnet Klaus Dörre, Professor für Soziologie an der Universität Jena, als „Wachstumsfetisch“. Kapitalistische Gesellschaften seien strukturell auf Expansion und auf die Generierung von Wirtschaftswachstum angewiesen. Allerdings befänden sich diese Gesellschaften, laut Dörre, momentan an einem historischen Wendepunkt: Ihr wichtigster Hebel zur Überwindung von ökonomischen Krisen – die Erzeugung von Wirtschaftswachstum – verschärft in der Gegenwart immer stärker ökologische Krisen. Das bezeichnet Dörre als ökonomisch-ökologische Doppelkrise. Zwar überschritten die Gesellschaften des globalen Nordens ökologische und soziale Belastungsgrenzen des Planeten schon seit geraumer Zeit, aber die globale Krise von 2008/09 sei dennoch eine „Signalkrise“, die diese Wachstumskrise fortgeschrittener kapitalistischer Industriegesellschaften offenbare.
In der Diskussion über die Auswege aus dieser Krise gebe es, laut Dörre, fünf verschiedene theoretische Ansätze: Da sind zum einen die Wachstums-Verfechter, wie beispielsweise Karl-Heinz Paque, die hoffen, dass ein „Weiter so!“ die Krise lösen könne. Daneben gebe es die Vertreter eines Komplett-Ausstiegs wie Meinhard Miegel, die einen Wohlstandsverzicht fordern. Eine weitere Bewegung (Décroissance) hat die Vorstellung entwickelt, dass ein Absinken des Wachstums, sowie eine Entschleunigung und ein Konsumverzicht der beste Ausweg wären. Außerdem gebe es noch die Fraktion der Gestalter des Wachstums, zu der auch Ralf Fücks gehöre, die ein intelligentes und qualitatives Wachstum fordern. Dörre selbst fordert, gemeinsam mit seinen Jenaer Kollegen Hartmut Rosa und Stefan Lessenich in ihrem Kolleg „Postwachstumsgesellschaften“ eine sozialökologische Transformation.
Diese Transformation vollziehe einen Bruch mit dem bisherigen ressourcen- und energieintensiven Wachstumstyp. Zugleich werde auch eine Aufwertung und bessere Bezahlung der bisher in der Wachstumsmessung nicht berücksichtigten Tätigkeiten, wie Pflege und Erziehung, angestrebt. Um die Umsetzung der sich oftmals erst langfristig „rechnenden“ ökologischen Investitionen sicherzustellen, wäre es auch möglich, bestimmte gesellschaftliche Schlüsselsektoren wie Energie oder Finanzen öffentlich zu kontrollieren. Allerdings werde zu der Ausgestaltung dieser Transformation im Kolleg „Postwachtsumsgesellschaften“ auch noch geforscht.
Letzten Endes waren sich die meisten Teilnehmer des Kongresses „Wachstum ohne Ende?“ in der Diagnose des Problems im Wesentlichen einig: Ein Wachstum wie bisher würde die Erde nicht mehr verkraften. Gestritten wurde, wie so oft, lediglich um die Lösungsmöglichkeiten. Ralf Fücks fasste am Ende der Diskussion die große Transformationsaufgabe für die Zukunft– leidenschaftlich aber nicht mehr aufgebracht – so zusammen: „Wir sollten versuchen, das stürmische Wachstum der Welt möglichst in ökologische Bahnen zu lenken!“
Wachstumsdebatte: Schluss mit dem Öko-Calvinismus!
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