Es ist schwerer, nicht die Wahrheit zu sagen

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Podiumsgäste u.a. Leealaura Leskelä (Leiterin Zentrum Leichte Sprache Helsinki), Gisela Schröter (Lebenshilfe Thüringen e.V.), Astrid Rothe-Beinlich (MdL Bündnis 90/Grüne), Heiko Schneider (Prüfer für Leichte Sprache, CJD Thüringen)

Auf einer Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen wurde am 15. April über die Verwendung der Leichten Sprache in Deutschland diskutiert.

Finnland ist ein Vorreiter bei der Verwendung der Leichten Sprache: Seit 1990 gibt es in Finnland eine Zeitung in Leichter Sprache, seit diesem Jahr sogar eine eigene TV-Sendung. Über 300 Bücher der finnischen Literatur wurden schon in Leichte Sprache übersetzt. Ganz im Gegensatz zu Deutschland. Erst vor ein paar Jahren hat man begonnen, Texte in diese, leichter verständliche Sprache zu übersetzen.

Die Idee zu einer Leichten Sprache stammt ursprünglich aus der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Leichte Sprache hat klare Regeln wie zum Beispiel diese: Die Sätze sollen kurz sein. Sie sollen nur eine Aussage enthalten. Fremdwörter sollen vermieden werden. Die Verwendung von Leichter Sprache eignet sich daher nicht nur gut im Umgang mit Menschen mit Behinderung, sondern auch für Analphabeten, Kinder mit Lernschwierigkeiten, ältere Bürger oder Migranten.

Leealaura Leskalä bettet die Entwicklung der Leichten Sprache auch in einen größeren Kontext ein. Sie arbeitet am Selkokeskus – dem finnischen Institut für Leichte Sprache in Helsinki. Es gehe um die Frage, wie Menschen zu Bürgern einer Gesellschaft werden. Wie kann allen Menschen in einer Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben gelingen? Ein solches Leben ist nur dann möglich, wenn die nötigen Informationen für alle Menschen verfügbar sind. Für viele Menschen stellt aber die Sprache eine hohe Hürde dar: Das beginnt bei den dicht gepackten und schnell gesprochenen Nachrichten, geht über die unzugängliche Rechtssprache von Formularen oder Verträgen und endet bei verschachtelten literarischen Werken.

Um den Menschen in all diesen Bereichen zu helfen, wurde in Finnland das Zentrum für Leichte Sprache gegründet. Die zwei wöchentlich erscheinende Zeitung und die Fernsehsendung des Zentrums erleichtern es, Nachrichten zu verstehen. Broschüren und Internetseiten helfen dabei, die Sprache der Behörden besser zu verstehen. Wenn eine finnische Behörde beispielsweise eine neue Regelung erlässt, fragt sie das Zentrum für Leichte Sprache an und lässt ein Informationsblatt dazu erstellen. Dass dies erfolgreich sein kann, verdeutlicht Leskalä am Beispiel des finnischen Migrationsministeriums: Das Ministerium ließ seine Internetseiten in Leichte Sprache übersetzen. Danach gingen die monatlichen Anfragen von 4000 auf 1000 zurück.

Es werden auch viele finnische Bücher in Leichte Sprache übersetzt – Klassiker ebenso wie moderne Literatur. 75.000 Euro stehen dem Zentrum jährlich für solche Übersetzungen zur Verfügung. 20-25 Bücher können so pro Jahr übersetzt werden. Es gibt zum Beispiel den finnischen Nationalepos, die „Kalevala“, in leichter finnischer Sprache. Doch wie steht es mit Literatur in Leichter Sprache in Deutschland? „Gibt es in ihren Bibliotheken den Faust auch in Leichter Sprache?“, fragt Leskalä interessiert ihr Publikum.

Leider nicht – es gibt in Deutschland nur sehr wenig Literatur, die in Leichte Sprache übersetzt wurde: Als Klassiker lediglich „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ und als aktueller Roman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. Neben diesen gibt es etwa 30-40 weitere literarische Bücher.

In Deutschland ist bei der Förderung der Leichten Sprache bisher wenig geschehen. Das liegt daran, dass erst sehr spät die Bedeutung der Leichten Sprache erkannt wurde. Die Bundesregierung hatte  im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und im Jahr 2011 einen Aktionsplan vorgelegt. Danach begannen die einzelnen Bundesländer sich darum zu kümmern. Jedes Bundesland entwickelte seine eigenen Umsetzungsstrategien und -regeln. In Thüringen wurde erst im Jahr 2012 ein Maßnahmenplan verabschiedet.

 

Die einzelnen Bildungsträger waren immerhin schon etwas länger sensibilisiert. Beim CJD Berufsbildungswerk in Gera habe man bereits 2006 eine Schulung dazu gemacht, erklärt dessen Geschäftsführer Axel Stellmacher. Das CJD ist eine überregionale Einrichtung zur beruflichen Erstausbildung junger Menschen mit Handicaps. Nach der Schulung habe man sich gefragt, ob die Bewohner des Internats überhaupt die Hausordnung oder den Mietvertrag verstehen können und ob sie überhaupt wissen, was sie dort unterschreiben. Man habe daraufhin erste Förderanträge gestellt und dann im Jahr 2011 Fördergelder erhalten, um ein „Büro für Leichte Sprache“ in Erfurt zu eröffnen. Das Büro bietet Übersetzungen von Verträgen, Formularen, Gesetzen, Flyern und Internet-Texten an. Texte können aber auch nur auf ihre Verständlichkeit hin geprüft und zertifiziert werden. Wenn ein Text positiv geprüft wurde, erhält er das Siegel des „Netzwerks Leichte Sprache“.

In dem Büro sind mittlerweile zehn Mitarbeiter angestellt. Sie treffen sich einmal pro Woche und diskutieren über die Texte. Das Büro aufzubauen, sei aber auch schwierig gewesen, schildert Stellmacher. Man habe beispielsweise lange nach einem Anwalt gesucht, der bestätigen würde, dass die Übersetzung eines Vertrages rechtlich einwandfrei ist. Und: „Kostendeckend ist das alles nach wie vor nicht.“

Auch beim Landesverband der Lebenshilfe wurde dies deutlich. Gisela Schröter, die dort für die Beratung und Fortbildung zuständig ist, erläutert die Wichtigkeit der Leichten Sprache an einem Beispiel: Unterstützung bei der Haushaltsführung erhalten Menschen mit Behinderung nur, wenn sie ihre Bedürftigkeit nachweisen. Dafür müssen sie einen Antrag beim Sozialamt stellen. Dies fällt ihnen aber oftmals schwer, weil sie die Anträge nicht verstehen. Schröter versucht deshalb Fortbildungen in Leichter Sprache für die Mitarbeiter von Ämtern und Behörden zu organisieren. Ihr zwischenzeitliches Fazit: „Wir sind leider in der Situation, dass das nicht gelebt wird.“

Aber das sei, so Schröter, nicht nur dort ein Problem, sondern auch auf der Ebene der Politik. So sollte beispielsweise der Entwurf des Thüringer Gleichstellungsgesetzes auch mit Menschen mit Behinderung diskutiert werden. Doch durch die abstrakte Sprache des Entwurfes seien nach mehreren Sitzungen nur noch Experten an der Diskussion beteiligt gewesen.

Auch Astrid Rothe-Beinlich sieht dieses Problem. Sie ist parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Thüringer Landtag. „Leichte Sprache ist in der Politik fast ein Fremdwort.“ Politiker neigen dazu, kompliziert zu reden. Sie wollen Dinge nicht konkret benennen. Das merke man auch im Landtag: Viele Politiker lesen ihre Reden vom Blatt ab und nutzten zu viele Fremdwörter. Nur wenn man frei rede, werde die Sprache auch leichter.

Es gehe ihr aber nicht um eine Verflachung der Sprache, erklärt Rothe-Beinlich, sondern die Sprache solle wieder zu einem Mittel werden, um mit allen Menschen ins Gespräch zu kommen. Wenn man verständlicher redet, muss man sich der Auseinandersetzung mit allen stellen. Zu oft diene Sprache nur noch dazu, einen bestimmten Status aufrechtzuerhalten.

Diese Probleme kennt man aber auch im Vorreiterland Finnland, fügt Leealaura Leskalä hinzu. Die meisten Politiker meiden dort ebenfalls die Leichte Sprache: „Sie mögen sie nicht, weil es in Leichter Sprache sehr schwer ist, nicht die Wahrheit zu sagen.“ Und auch in Finnland sind die meisten Beamten nicht begeistert, wenn sie Leichte Sprache lernen sollen. „So rosig ist es auch in Finnland nicht.“