Die Neuerfindung der Bürgerhaushalte

Teaser Bild Untertitel
"Stuttgart 21" hat gezeigt, dass die Mechanismen in Politik und Verwaltung nicht mehr funktionieren

Der Bürgerhaushalt ist tot! Wer die Teilnehmerzahlen anschaut, könnte das zumindest meinen. Wichtiger als die Quoten ist jedoch das Vertrauen der Menschen in ein Verfahren zu gewinnen, das noch in der Geburtsphase steckt.

Bürgerhaushalte sind Verfahren der Bürgerbeteiligung im Bereich der Haushaltsplanung, in denen die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert werden, Vorschläge zum Haushalt zu unterbreiten oder zu Vorschlägen der Verwaltung und Politik Rückmeldungen zu geben. Zwar existieren Bürgerhaushalte schon länger als “Stuttgart 21”, aber sie sind durch “Stuttgart 21” beflügelt worden und ein Ausdruck dafür, dass die bisherigen Mechanismen in Politik und Verwaltung nach dem Motto “intern beraten, intern entscheiden, verkünden und verteidigen” nicht mehr oder nur noch unzureichend funktionieren.

Zwar folgen nach wie vor viele Verfahren diesem Prinzip, laufen dabei aber zunehmend Gefahr, dass sich am Ende Protest gegen bereits verkündete Pläne formiert. Die Verfahren müssen daher geöffnet und möglicherweise auch verändert werden. Sie müssen transparenter und partizipativer werden. Denn die Bürgerinnen und Bürger sind immer weniger bereit, sich als bloße Adressaten für Informationen und Entscheidungen “abspeisen” zu lassen, sondern wollen wissen: a) worüber gesprochen wird; und b) wie darüber gesprochen wird, d. h. wie der Prozess der Entscheidungsfindung in Planungsvorbereitungsprozessen abläuft. Dies gilt auch für das kommunale Haushaltsplanverfahren.

Ein weiterer Trend, der ebenfalls großen Einfluss auf Bürgerhaushalte hat, betrifft die neuen Medien, also die Digitalisierung der Gesellschaft: So ist es kein Zufall, dass die meisten Bürgerhaushalte in Deutschland mithilfe neuer Medien umgesetzt werden – nicht ausschließlich, aber vor allem.

Darüber hinaus sind mit Bürgerbeteiligungen keine Wahlen oder Entscheidungen gemeint, auch keine Meinungsforschungen, sondern Beteiligungen der interessierten Öffentlichkeit zwischen den Wahlen. Wenn sie gut laufen, also eine hohe Wahlbeteiligung zu verzeichnen ist, sind Wahlen noch repräsentativ. Aber ab 18:05 Uhr hat alles, was bis zu den nächsten Wahlen passiert, in der Regel nichts oder nur wenig mit Repräsentativität zu tun. Stattdessen spielen dann Fachverfahren die größte Rolle, an denen viele unterschiedliche Akteure beteiligt sind – natürlich auch die gewählten Politikerinnen und Politiker in den repräsentativ zusammengesetzten Gremien und Ausschüssen.

Quoten sind nicht entscheidend

Wenn man über Bürgerhaushalte spricht, darf man daher auch nicht über Quoten der Beteiligung reden. Denn anders als bei Wahlen finden Bürgerbeteiligungen ─ selbst wenn sich mehrere Hundert oder Tausende beteiligen ─ zahlenmäßig auf einem vergleichbar niedrigen Niveau statt, sodass man sofort aufhören müsste, Bürgerbeteiligung zu machen, wenn man sie anhand von Quoten messen würde.

Bei der Bürgerbeteiligung spielen stattdessen andere Fragen und Erfolgsfaktoren eine Rolle, wie zum Beispiel: Werden dem Bürgerbeteiligungsverfahren Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungsfindung zugestanden? Welche Qualität haben die Bürgervorschläge? Werden die Beteiligungsergebnisse so aufbereitet, dass die Politik sie für ihre fachpolitischen Beratungsprozesse verwenden kann? Werden die Beteiligungsergebnisse ─ zum Beispiel Vorschläge zum Haushalt ─ bei den fachpolitischen Beratungen angemessen berücksichtigt? Wird eine Rückmeldung darüber gegeben, wie die Beteiligungsergebnisse in die Entscheidungsfindung eingeflossen sind? Wird über die anschließende Umsetzung von Beschlüssen berichtet?

Das Haushaltsverfahren läuft in periodischen Abständen. Dafür gibt es den Finanzausschuss, aber vor allem die Fachverwaltung, die im Auftrag der Politik den Haushalt jährlich oder (im Falle eines Doppelhaushaltes alle zwei Jahre) aufstellt und den Entwurf einbringt. In dieses Haushaltsplanverfahren fließt sehr viel Wissen aus der Verwaltung ein, aber auch Gutachten, haushaltspolitische Vorstellungen, Eckwerte und Zielsetzungen, Interessen der Lobbygruppen sowie die Sicht der Bürgerinnen und Bürger (z. B. mittels eines Bürgerhaushaltes), die im Ergebnis allesamt dafür sorgen, dass Gelder in bestimmte Richtungen fließen. In vielen Kommunen fließt allerdings nicht mehr besonders viel, denn viele Kommunen sind “pleite”. Insofern geht es eigentlich nur noch um Pflichtaufgaben, die man schon kaum finanzieren kann. Für freiwillige Ausgaben findet sich in der Regel nur noch ganz wenig Geld.

Wie werden Bürgerhaushalte durchgeführt?

Am häufigsten ist in Deutschland das Kölner Modell vertreten, manchmal auch Lichtenberger Modell genannt. Zwar gibt es durchaus verschiedene Varianten, aber im Kern werden die Bürgerinnen und Bürger alle zwei Jahre, wenn es sich um einen Doppelhaushalt handelt, oder jährlich, wenn es ein einjähriger Haushalt ist, auf eigens bereitgestellten Beteiligungsplattformen befragt: Was möchten Sie im Haushalt sehen? Machen Sie uns Vorschläge! Also: Vorschläge sammeln, bewerten und kommentieren.

Da viele Kommunen kein Geld haben, wird immer weniger danach gefragt, wo man Geld ausgeben kann, sondern immer häufiger danach, wo und wie man es einsparen könnte. Im Grunde ist es ebenfalls ein Vorschlagskonzept. In Solingen und der Stadt Bonn hat die Verwaltung immerhin selbst Vorschläge eingestellt, wie man den Haushalt konsolidieren könnte. Am Ende steht dann immer eine sogenannte “Bestenliste” von Vorschlägen, die – gemäß des Leistungsversprechens der Verwaltung ─ fachlich bewertet werden und anschließend mit der fachlichen Stellungnahme der Verwaltung in die entsprechenden Ausschüsse gehen. Das ist zum einen der Finanzausschuss, zum anderen sind es aber auch Fachausschüsse, weil verschiedene Vorschläge auch unterschiedliche Fachbereiche betreffen können.

Bürgerhaushalte sind in Deutschland stark internetbasiert. Sie sind aber auch crossmedial, da verschiedene Kanäle genutzt werden, um viele und möglichst unterschiedliche Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Die Crossmedialität bezieht sich im Idealfall nicht nur auf den Beteiligungskanal, sondern auch auf die Öffentlichkeitsarbeit, weil zu einem Bürgerhaushalt auch die Mobilisierung zur Teilnahme gehört – teils über klassische Kanäle, teils über neue Medien. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch ohnehin um eine selbstrekrutierende Teilnehmerschaft, selbst dann, wenn die Bürgerinnen und Bürger per Zufallswahl über einen Bürgerhaushalt benachrichtigt werden. Denn auch hier rekrutieren sich die Akteure letztlich selbst, indem sie entscheiden, ob sie antworten bzw. teilnehmen.

Die Fokussierung auf Bestenlisten bei der Haushaltskonsolidierung ist nicht ganz unproblematisch. Die dort gesammelten Vorschläge werden durch die Verwaltung fachlich bewertet und von der Politik beraten und entschieden. Wenn es gut läuft, wird anschließend sogar darüber kommuniziert, wie die beschlossenen Vorschläge umgesetzt werden können. In der Stadt Köln gibt es zum Beispiel eine Plattform, auf der alle Vorschläge der Bestenlisten stehen. Dort lässt sich der Status verfolgen, wann und wie über sie beschlossen wurde und ob sie sich ─ im Falle eines positiven Votums der Politik ─ in der Umsetzung befinden oder noch in der fachlichen Vorbereitungs- und Planungsphase.

Ein Vorschlag für das Haushaltsjahr 2008/2009 – der entsprechende Kölner Bürgerhaushalt wurde im Jahr 2007 durchgeführt – zum Umbau einer komplexen Kreuzung befindet sich beispielsweise immer noch nicht in der Umsetzung. Das ist eine große Herausforderung für Bürgerhaushalte oder Beteiligungsangebote überhaupt: Bei komplexen Projekten muss eine Art “Beteiligungsgedächtnis” aufgebaut werden, zum Beispiel mit entsprechenden Plattformen, damit der Ursprung eines Vorschlages und sein Weg hin zur Umsetzung nicht in Vergessenheit gerät. Dies ist besonders wichtig, wenn die Vorschläge erst Jahre später realisiert werden.

Problem der Bürgerhaushalte

Der Bürgerhaushalt befindet sich eigentlich immer noch in der Geburtsphase. Wir haben viele tausend Kommunen in Deutschland; etwa hundert haben ihn eingeführt oder führen ihn fort. Nach wie vor ist es lediglich eine kleine Minderheit, die sich überhaupt auf den Weg gemacht hat. 1998 gab es eine Kommune, 1999 zwei Kommunen – 2014 hatten wir 96, die den Status “E” für Einführung oder den Status “F” für Fortführung besitzen, wobei Fortführung bedeutet, dass ein Bürgerhaushalt mindestens dreimal durchgeführt wurde. Andere Kommunen haben den Bürgerhaushalt bereits wieder auf das Abstellgleis geschoben.

Der Bürgerhaushalt wird immer gern als tot oder als sterbend bezeichnet, wenn die Teilnehmerzahlen betrachtet werden. In Köln wird man beim derzeitigen Bürgerhaushalt wahrscheinlich knapp 2.000 Teilnehmende erreichen. Die Zahl der Vorschläge wird bei ca. 1.200 liegen. Das Votieren, ob man einen Vorschlag gut oder schlecht findet, ist über die Jahre ähnlich hoch geblieben bei geringerer Teilnehmerschaft.

Weniger Teilnehmende sind also insgesamt aktiver geworden. Rechnet man die Zahl der Teilnehmenden auf eine Millionenstadt wie Köln in Quote um, könnte man sagen: “Der Bürgerhaushalt ist gestorben.” Es macht aber durchaus Sinn, die Zahlen innerhalb des Systems, d. h. zwischen unterschiedlichen Bürgerhaushaltsjahrgängen, zu vergleichen. Vermutlich geht zukünftig vor allem die Anzahl der Vorschläge zurück, weil der Ideenpool irgendwann aufgebraucht ist. Aber das ist nicht das Hauptproblem.

Vorschläge abzugeben, ist relativ einfach. Es ist wenig oder gar keine Qualifizierung vorausgesetzt. Man geht einfach auf die Plattform und macht Vorschläge, die dann als abgeschlossene Einheit diskutiert und bewertet werden. In diesem Sinne ist der Bürgerhaushalt schon ein Fortschritt, weil mehr Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf den Haushalt beteiligt werden. Inwiefern der Haushalt danach besser verstanden wird, bleibt eine ganz andere Frage.

Durch den Bürgerhaushalt und die Digitalisierung der Bürgerbeteiligung ergeben sich asymmetrische Teilnehmerstrukturen. Das heißt, man erreicht nur die Bürgerinnen und Bürger, die sich auch beteiligen wollen, die mobilisierbar und auch politisierbar sind. Menschen, die sich politisch normalerweise nicht engagieren, werden mit diesen Verfahren auch nicht erreicht. Die derzeitigen Konzepte konnten dieses Problem nicht lösen.

Ein glaubwürdiges Gesamtkonzept fehlt

Bestenlisten, die durch Voten auf den Beteiligungsplattformen entstehen, sind als Legitimationsgrundlage nicht besonders geeignet, weil es sich um ein quantitatives Verfahren handelt, das selbstrekrutierend und nicht repräsentativ ist. Insofern ist eine Bestenliste auch nicht legitimationsfähig, nur weil mehr Teilnehmende für bestimmte Vorschläge votiert haben. Diejenigen, die für einen Vorschlag votieren, bilden immer nur eine kleine Minderheit der Gesamtgesellschaft. Dennoch werden Bestenlisten genutzt, um letztlich die Masse der Vorschläge auf eine für Verwaltung und Politik handhabbare Menge zu reduzieren. Dieser Widerspruch ist bisher konzeptionell noch nicht gelöst.

Noch schwieriger ist der Umgang mit den Ergebnissen. In der Regel gibt es keine oder nur spärliche Rückmeldungen dazu, was mit den Bürgervorschlägen passiert, obwohl man sie so explizit per Bestenliste eingesammelt hat. Gleichzeitig dauert die Umsetzung der Vorschläge häufig sehr lange. Das Bewusstsein aufseiten der Politik ist hinsichtlich der Indikation der Bürgervorschläge sowie der Ergebnisse der politischen Beratung nur gering ausgeprägt. So gibt es tatsächlich Bürgerhaushalte, in denen die Bestenliste inklusive fachlicher Bewertung mit einmal Handheben durchgewunken wird – keine Diskussion und entsprechend auch keine Rückmeldung an die Öffentlichkeit.

Bei vielen Bürgerhaushalten existiert keine sichtbare Einordnung in ein glaubwürdiges Gesamtkonzept, sodass nie wirklich zu Ende gedacht wurde, wie der Bürger eingebunden oder mit den Ergebnissen umgegangen werden soll. Stattdessen bemerkt man in dieser Hinsicht viel Lieblosigkeit seitens bestimmter Akteure. Dass man über den Planungsgegenstand informiert, vernünftig mobilisiert, zielgruppenspezifisch konsultiert, die Ergebnisse auswertet, darüber berät und entscheidet, dass die Ergebnisse anschließend politisch wirklich relevant werden und man dazu eine Rückmeldung gibt – all dies funktioniert bei den meisten Bürgerhaushalten nur suboptimal. Abnehmende Teilnehmerzahlen könnten die Folge sein.

Das Problem sind vor allem zwei Sollbruchstellen: Zum einen wird zwar gut mobilisiert, konsultiert und auch ausgewertet, aber dann entsteht ein Bruch und es wird nicht mehr sichtbar, ob sich ein Vorschlag noch in der Beratung befindet oder schon entschieden worden ist. Zum anderen wird nach der Beratung und Entscheidung auch keine Rechenschaft mehr abgegeben, sodass man irgendwann ein Problem hat, neu zu mobilisieren, weil die Menschen sich fragen, was eigentlich mit ihren Vorschlägen aus dem vorhergehenden Durchgang passiert ist.

Ein weiteres konzeptionelles Problem sind die vielen Wiederholungen und Doppelungen. Viele Vorschläge werden mehrfach eingebracht und sind darüber hinaus viel zu kleinteilig und unterkomplex. Das ist aber nicht das Problem der Bürgerinnen und Bürger, sondern des niedrigschwelligen Konzepts. Vorschläge und Diskussionen werden in der Regel völlig entkoppelt vom eigentlichen Haushalt und auch von seiner Entwicklung eingebracht, in der Regel einzeln beraten und oft nicht in der Gesamtheit diskutiert. Zwar lässt sich ein einzelner Vorschlag gut behandeln, aber er besitzt nicht die Komplexität, die der Haushalt hat, und ist deshalb nur schwer in diesen zu integrieren.

Die Bürgerhaushalte besitzen also eine zu geringe Anschlussfähigkeit an das Haushaltsplanverfahren bzw. an haushaltspolitische Zielsetzungen und Strategien. Zwischen der Bestenliste, die aus den Vorschlägen erstellt wird, und dem Haushaltsplanverfahren befindet sich eine noch verhältnismäßig “dicke Mauer”. Zwar ist der Bürgerhaushalt ein recht niedrigschwelliges und einfaches Instrument zur Bürgerbeteiligung, aber noch zu wenig an die eigentliche Problematik des Haushalts angebunden.

Möglichkeiten der Entwicklung

Es gibt einige Überlegungen, wie diese Probleme zu beheben sind – zum Beispiel die Plattform offenerhaushalt.de, auf der die Haushaltszahlen von Bund, Ländern und Kommunen übersichtlich zur Verfügung gestellt werden. Indem man aufzeigt, wofür die Gelder in den letzten Jahren verwendet wurden, sollen Bürgerinnen und Bürger stärker qualifiziert werden, um dann auch bessere Vorschläge machen zu können.

Ein anderer Punkt, um der Entkopplung zu entgehen, ist die Regionalisierung der Bürgerhaushalte. Wenn die Bürgerinnen und Bürger keine komplexen Vorschläge machen können oder wollen, welche die gesamtstädtische haushaltspolitische Strategie betreffen, dann sollen sie zumindest Vorschläge auf Bezirks- oder Quartiersebene machen können. Die Vorschläge betreffen dann zwar weniger die Ausrichtung des gesamtstädtischen Haushalts, gehen jedoch eher in die Fachbereiche ein, werden insgesamt konkreter und anschlussfähiger.

Um dieser Problematik zu entgehen, sind manche Kommunen dazu übergegangen, die Bürgerhaushalte vom Haushaltsplanverfahren zu entkoppeln, sodass die Bürgerinnen und Bürger im Grunde ganzjährig Vorschläge machen können. Das ist beispielsweise im Berliner Bezirk Lichtenberg der Fall. Letztlich ist es aber auch eine Entkopplung von der Politik, da das Verfahren nicht mehr in den Haushaltsaufstellungszyklus mit den entsprechenden fachpolitischen Beratungen integriert ist. Die Stadt Frankfurt hat die Beteiligung sogar nicht nur vom Zyklus des Haushaltsplanverfahrens entkoppelt, sondern auch vom Haushalt selbst. Das Verfahren nennt sich daher ─ zu Recht ─ auch nicht mehr Bürgerhaushalt.

Eine ganz andere Strategie ist die Einführung von Bürgerbudgets. Festgelegte Budgets werden auf Bezirks- oder Quartiersebene verteilt, und die Bürgerinnen und Bürger können dann Vorschläge machen, wie diese Budgets verwendet werden sollen. Dadurch wird ein Bürgervorschlag tatsächlich an ein real existierendes Budget gekoppelt, obwohl hier im Grunde ein kleiner Parallelhaushalt entsteht, der wenig mit dem realen Haushalt zu tun hat. Zudem könnten bereitgestellte Gelder jederzeit auch wieder gestrichen werden.

Grundsätzlich ist die Budgetidee nicht schlecht, auch wenn sie konzeptionell nicht unbedingt eine gute Weiterentwicklung der Bürgerhaushalte darstellt, weil auch hier der Blick auf die gesamtstädtische Haushaltsplanung und Abwägung verloren geht. In Mühlheim am Main versucht man daher beispielsweise, nicht nur Vorschläge einzusammeln, sondern auch Produkte vorzustellen und Rückmeldungen zu diesen Produkten zu bekommen. Ein Produkt ist eine Zusammenstellung von Tätigkeiten der Verwaltung, um die Komplexität besser zu kommunizieren und zu verdeutlichen, was ein Bürgerservice ist. Möglicherweise stellt dies einen guten Ansatz dar, um die Komplexität des Haushalts nicht aus den Augen zu verlieren.

Wer trägt die Verantwortung?

Wenn der Bürgerhaushalt eine Zukunft haben soll, müssen aus den Haushaltsplanverfahren unterschiedliche Szenarien entwickelt werden, zum Beispiel produktbezogene Szenarien oder unterschiedliche Haushaltskonsolidierungsszenarien. Sofern versucht wird, eine wirklich qualitative Diskussion zu initiieren und an den Kriterien orientiert zu diskutieren, erledigt sich auch das Problem mit den Quoten oder den Bestenlisten.

Politik und Verwaltung müssten hierfür aber Vorarbeit leisten, damit die Bürgerinnen und Bürger etwas haben, worüber sie diskutieren können. In Solingen wurde so ein Projekt vor Jahren in Bezug auf den Winterdienst initiiert. Unterschiedliche Szenarien wurden entwickelt, diskutiert und bewertet, um den Winterdienst als Dienstleistung zu verbessern. So müsste es auch für die gesamte Stadt und ihre Produkte gehandhabt werden.

Letztlich sollte keine “Bürgerbeteiligungsromantik” aufgebaut, sondern ein realistischer Blick beibehalten werden; die Menschen beteiligen sich nur, wenn sie betroffen sind oder ein besonderes Interesse haben. Insofern sollte man möglichst viele unterschiedliche Themen anbieten und diese auf unterschiedlichen Kanälen kommunizieren, um über die Zeit möglichst viele Menschen zu erreichen. Zudem muss bildungspolitisch etwas getan werden, um das Interesse und die Beteiligungsfähigkeiten der Menschen zu vergrößern und zu fördern. Das kann eine Bürgerbeteiligung oder ein Bürgerhaushalt alleine nicht lösen. Selbst wenn das Interesse an einem Thema, der Wille und die Fähigkeiten vorhanden sind, reicht dies noch nicht. Man muss zur Beteiligung auch immer mobilisieren. Denn wenn die Menschen nicht wissen, dass sie sich beteiligen könnten, kann es auch keine aktive Partizipation geben.

Doch selbst wenn die Menschen interessiert sind und mobilisiert werden können, bedeutet dies noch immer keine sichere Beteiligung. An dieser Stelle kommt es auf die Kosten-Nutzen-Bilanz an: Habe ich Lust teilzunehmen? Ist das Instrument gut? Kann ich tatsächlich Einfluss nehmen? Neben Interesse und Mobilisierung müssen also auch die Instrumente und Beteiligungskanäle stimmen bzw. auf die jeweiligen Zielgruppen abgestimmt sein. Letztlich hat das auch viel mit Erwartungsmanagement und Vertrauen zu tun. Bürgerbeteiligung wird immer mit Konflikten und Erwartungen einhergehen, die gemanagt werden müssen. Ein schlecht konzeptionierter Bürgerhaushalt, der insgesamt ein ernstgemeintes Angebot darstellt, wird vermutlich besser funktionieren als ein methodisch hervorragend umgesetzter Bürgerhaushalt ohne Vertrauensbasis.

Ohne dieses Vertrauen und eine grundsätzliche Entwicklung der Beteiligungskultur werden die Bürgerhaushalte ─ oder auch andere Beteiligungsangebote ─ auf Dauer nicht funktionieren. Zudem muss kommuniziert werden, was der Bürgerhaushalt im Gesamtportfolio einer Stadt für eine Bedeutung hat und welche Grenzen ihm obliegen. Bürgerbeteiligung ist letztlich auch ein Verfahren, bei dem am Ende jemand entscheiden und die Verantwortung übernehmen muss. In unserer repräsentativen Demokratie sind dies die gewählten Politikerinnen und Politiker – und diese sollten die Verantwortung auch übernehmen und die Bürgerbeteiligung nicht dazu nutzen, Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger abzuschieben.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag bei der Tagung “Stadt beteiligt! Wie neue Beteiligungskultur wächst” der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen am 28. November 2014 in Erfurt.