Der Große Boom nach der Finanzkrise ist ausgeblieben

Die Jenaer Soziologin Stefanie Hiß untersucht den nachhaltigen Finanzmarkt und geht der Frage nach, warum dieser in Deutschland bisher kaum entwickelt ist.

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Quelle: Anne Günther, FSU Jena

Was sind nachhaltige Investitionen?

Im Bereich des nachhaltigen Investierens geht es darum, dass Investoren nicht nur nach den klassischen Investorenentscheidungen ihre Investitionen lenken, also nach Rendite, Risiko, Liquidität, sondern ein viertes Element hinzukommt: Die Nachhaltigkeit. Was nachhaltig ist, kann zwar ganz unterschiedlich interpretiert werden, aber in der Regel handelt es sich dabei um eine soziale, ökologische Nachhaltigkeit, zu der auch eine ethische Komponente kommen kann.

Das heißt, der Hintergrund der Investitionen wird beleuchtet...

Der Investor muss sich ja überlegen, wo er investiert, und beim nachhaltigen Investieren, achtet er eben darauf, ob sein Investitionsobjekt sozial ökologisch nachhaltig agiert. Wenn man das jetzt ganz vereinfacht: Es gibt eine nachhaltige Bank, die GLS Bank, bei der können sie genau sehen, wo die Bank die gesammelten Spareinlagen anlegt und wem sie einen Kredit gibt. Das ist dann vielleicht ein Biohof in Sachsen.

Gibt es auch Fonds, die solche Investitionen fördern?

Es gibt zu fast allen konventionellen Finanzprodukten ein Äquivalent im nachhaltigen Bereich. Sie haben klassische Fonds und nachhaltige Fonds, klassische Indizes und nachhaltige Aktienindizes. Aber was das nachhaltige Finanzmarktsegment insgesamt auszeichnet, ist, dass die hochrisiko-behafteten Finanzprodukte und auch sehr intransparente Produkte nicht nachgebildet werden.

Wie würden sie denn das Verhältnis von konventionellen zu nachhaltigen Investitionen einschätzen?

Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sind ungefähr 1,1 Prozent des verwalteten Vermögens in Deutschland momentan im nachhaltigen Finanzmarksektor. Das ist sehr gering, wenn man das mit den USA oder Großbritannien vergleicht, da ist man um die 12 Prozent und zwischen 20 und 25 Prozent. Man kann diese Prozentzahlen allerdings nicht ganz genau vergleichen: Etwas, was in den USA bereits als nachhaltige Anlage gezählt wird, wäre in Deutschland noch keine nachhaltige Anlage. Aber trotzdem kann man diesen Unterschied beobachten.

Wie kommt das? Viele Deutschen leben doch ökologisch bewusst...

Genau das ist die Forschungsfrage unseres Projektes, denn eigentlich ist das kontraintuitiv. Die Deutschen sind stolz darauf, umweltbewusst zu leben, Müll zu trennen, Batterien zurückzubringen und so weiter. Das alles sind Verhaltensweisen, die man im angelsächsischen Bereich erst in jüngster Zeit beobachten kann. Und trotzdem haben wir im nachhaltigen Finanzmarktsegment die gegenteilige Ausrichtung.

Vielleicht sind die Leute, die ökologisch bewusst leben, nicht die, die Geld an Finanzmärkten anlegen?

Auf jeden Fall haben wir in Deutschland keine ausgeprägte Aktienkultur. Nachhaltige Investitionen werden stark über Aktien vermittelt. In den USA haben sie einfach eine breite Auswahl an nachhaltigen Fonds, dafür brauchen sie auch eine Bevölkerung und institutionelle Investoren, die in diesem Aktiengeschäft aktiv sind. Das sind erste Erklärungsansätze.

Welche Akteure fördern denn nachhaltige Investitionen?

Grundsätzlich sind die institutionellen Investoren die Treiber: Kirchliche Investoren machen einen großen Anteil aus, dann auch Stiftungen und zunehmend Versicherungen. Man kann auch einen neuen Trend beobachten: Von der Nische in den Mainstream. Man hatte lange Zeit Nischenakteure, wie die Ethikbank in Eisenberg, die GLS-Bank in Bochum, die Umweltbank in Nürnberg und neuerdings die Triodos-Bank. Mittlerweile findet aber auch ein Mainstreaming statt. Die Deutsche Bank ist in diesem Markt auch aktiv, publiziert Artikel dazu und bietet jetzt nachhaltige Fonds an.

Wer sind die Investoren, die das kaufen? Ist es nicht inkonsistent, wenn man bei der Deutschen Bank einen nachhaltigen Fonds kauft und die Bank gleichzeitig mit Agrarfonds spekuliert?

Das ist ja auch die Kritik an der Deutschen Bank, dass sie eben nicht als holistisches, nachhaltiges Konzept aufgestellt ist. Die Deutsche Bank hat ausgewählte Fonds, die diesen Nachhaltigkeitsaspekt berücksichtigen, aber eben viele andere Projekte, Fonds und Kreditgeschäfte, die ganz eindeutig nicht nachhaltig sind.

Wie wird dieses Mainstreaming denn von den Akteuren bewertet?

Einige sagen, es ist sehr negativ, dass Akteure mit auf den Zug aufspringen, die das nur in abgeschwächter Form und mit geringeren Standards machen. Die Nische sollte die Nische bleiben: Eine nachhaltige Geldanlage kann nur dann ein besonders nachhaltiges Produkt sein. Andere sagen, dass es gut sei, weil das Thema dann eine Dynamik bekommt und weil dann mehr Leute bei ihren eigenen Finanzinstituten nochmal kritisch nachfragen: „Habt ihr sowas auch?"

Wie ist die Wirkung der Finanzkrise auf diesen Markt?

Es gibt sehr ambivalente Reaktionen. Im Privatkundensegment kann man ganz deutlich sehen, dass die Finanzkrise einen großen Wachstumsschub hervorgerufen hat: Also die nachhaltigen Banken können sich vor Kunden nicht retten. Im Privatkundenbereich scheint die Finanzkrise ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, was mit dem Geld passiert, das man zur Bank trägt. Bei den institutionellen Investoren bewegt sich durchaus auch schon etwas. Wir haben jetzt eine Steigerung von 0,6 auf 1,1 Prozent, die durchaus auch durch die Finanzkrise ausgelöst wurde. Aber der große Boom, die große Explosion des Segments ist ausgeblieben.

Wie ist denn die Rolle der Politik dabei? Könnte Sie nicht regulierend eingreifen?

Die Politik hat bisher mindestens zwei Möglichkeiten zur Regulierung verpasst. Man hätte zum einen die Riesterrente mit der Förderung von nachhaltigen Investitionen verknüpfen können. Das lag ja eigentlich auf der Hand. Gerade bei der langfristig angelegten Riesterrente sollte man darauf achten, keine hochriskanten Produkte zu nutzen. Die zweite Möglichkeit war der Bail-Out der Banken: Wenn der Staat so stark mit Steuermitteln eingreift, hätte man das sehr gut mit sozial-ökologischen Auflagen für die Banken verknüpfen können. Es hätte also durchaus Möglichkeiten gegeben, die man nicht genutzt hat.