Pariser Klimagipfel und Thüringer Landstrom

In der „Langen Nacht des Klimas“ am 8. Dezember im Jenaer Theaterhaus wurde über die globalen und lokalen Möglichkeiten zur Bekämpfung des Klimawandels diskutiert.

Etwa eine Woche vor dem Ende des Klimagipfels in Paris war die Stimmung unter den Klimaschützern noch sehr bedrückt. Niemand glaubte daran, dass am Ende der Verhandlungen ein verbindliches Abkommen stehen würde. Zu oft waren die Verhandlungen schon gescheitert, zu groß waren die Interessenskonflikte zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Dass es am 12. Dezember doch zu einer Einigung gekommen ist, ist vor diesem Hintergrund eher überraschend.

Wer ist verantwortlich und welcher Ausgleich wird fällig?

„Der Druck in Paris war sehr groß“, erklärte der Geschäftsführer des Thüringer Instituts für Nachhaltigkeit, Osama Mustafa, bei der „Langen Nacht des Klimas“. Das Kyoto-Protokoll war bereits im Jahr 2012 ausgelaufen. Darin war festgelegt worden, welche Länder ihre Emissionen wie stark reduzieren müssen. Alle Versuche, Nachfolgeabkommen abzuschließen, waren immer wieder gescheitert – an der Frage, ob die Entwicklungsländer eine nachholende Entwicklung machen dürfen, die aber den Klimawandel weiter verstärken würde; an der Frage, wie die USA beteiligt werden können, in denen der Kongress jedes international verbindliche Abkommen blockieren würde; an der Frage, wer verantwortlich für den Klimawandel ist und ob die Antwort („die Industrieländer“) zu finanziellen Entschädigungen für die am stärksten betroffenen Länder führt.

Die Vorbereitungen für die Verhandlungen in Paris waren jedoch anders, erklärt Mustafa: „Es gab keine ausverhandelten Quoten zur Reduktion der Emissionen mehr.“ Die Länder konnten sich im Vorfeld der Verhandlungen selbst verpflichten, gewisse Reduktionsziele zu erreichen. Die Hoffnung sei, dass durch diese Selbsteinschätzung eine bessere Umsetzung in den Ländern möglich sei. Insgesamt 186 Länder hatten bis zum 12. Dezember Aktionspläne zur Reduktion ihrer Emissionen vorgelegt. Dass die vorgelegten Selbstverpflichtungs-Ziele nicht reichen werden, prophezeite Arvid Jasper, Mitglied von Greenpeace Jena. „Die aktuelle Prognose führt, wenn alle sich strikt an die Pläne halten würden, zu einer Erwärmung um 2,7 Grad, wird die Politik so fortgesetzt wie bisher, werden es 3,5 Grad.“ Daher wurde im endgültigen Pariser Abkommen festgelegt, dass die Staaten alle fünf Jahre ihre Klimaziele überprüfen und, wenn möglich, ihre Reduktionsquoten erhöhen müssen – verringern dürfen sie sie keinesfalls.

Außerdem wurde ein Green Development Fond beschlossen, in den die Industrieländer und optional auch die entwickelten Schwellenländer einzahlen. 100 Milliarden Dollar sollen ab dem Jahr 2020 jährlich bereit gestellt werden, um die Entwicklungsländer bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu unterstützen. Das klingt nach viel Geld. „Man muss das in Relation setzen zu den Subventionen für fossile Energieträger“, erklärt Jasper. „Das sind 500 Milliarden Dollar jährlich.“ Außerdem müsse man auch fragen, wo diese Gelder herkommen. In Großbritannien sei beispielsweise einfach ein Teil der Entwicklungshilfe dafür umgewidmet worden.

Erfolge im Vergleich zur Geschwindigkeit des Klimawandels viel zu langsam

Oftmals seien die Erfolge in der Klimapolitik daher nur vordergründige Erfolge, ergänzte Mustafa und verdeutlichte das am Beispiel Deutschlands. Deutschland hat sein im Kyoto-Protokoll vorgegebenes Klimaziel erreicht. Allerdings nur, weil es als Referenzgröße die Emissionen des Jahres 1990 gewählt hatte. Nach 1990 wurde die ostdeutsche Industrie zu großen Teilen abgewickelt und die Emissionen reduzierten sich dadurch sehr stark. Außerdem wurde im Zuge der Globalisierung ein Teil der CO-2-intensiven Produktion nach China verlagert, so dass diese Emissionen aus der deutschen Bilanz verschwanden. Insgesamt passiere ja etwas, resümierte Mustafa, aber das sei viel zu langsam im Vergleich zur Geschwindigkeit des Klimawandels.

Auch Jasper stimmte zu, das das viel zu langsam sei. Die Zivilgesellschaft müsse mehr Druck aufbauen. Nach einer Phase der Ernüchterung nach dem Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen, hätten die Aktionen in den letzten Jahren wieder stark zugenommen. Unter dem Motto „Ende Gelände“ formiere sich momentan eine große Bewegung gegen die Kohlekraftwerke in Deutschland.

In einer Liveschaltung nach Paris berichtete auch Antoine Vergne, Mitglied der Organisation World Wide View, von einer großen, zivilgesellschaftlichen Aktion zur Klimakonferenz. Seine Organisation hatte in 76 Ländern über 10.000 „normale“ Bürger über Fragen des Klimawandels diskutieren lassen. Es herrschte große Einigkeit: Über 80 Prozent der Bevölkerung sind in Nord und Süd besorgt über den Klimawandel.

Energieriesen stünden mit dem Rücken zur Wand

Immerhin einer wollte in der Diskussion auch ein wenig Zuversicht verbreiten: Dr. Martin Gude, Abteilungsleiter für Energiepolitik, Technologie- und Forschungsförderung im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Man müsse auch die positiven Entwicklungen der letzten zehn Jahre sehen. Die erneuerbaren Energien verdrängen überall fossile Energieträger. Diese seien ökonomisch nur noch dort zu betreiben, wo sie subventioniert werden. Die Energieriesen stünden in Deutschland mit dem Rücken zur Wand. Alle Prognosen der letzten zehn Jahre seien viel zu niedrig gewesen – die erneuerbaren Energien seien viel schneller gewachsen.

Er kann sich eine neue Welt mit erneuerbaren Energien vorstellen: „Warum sollen aufstrebende Länder Kohlekraftwerke bauen, die die Luft verdrecken, wenn sie für den gleichen Preis auch Windparks bauen könnten?“ China habe bereits jetzt die größte Ausbaurate an Windparks. „Das ist kein Zweckoptimismus, sondern es gibt gute ökonomische Gründe.“

Deutschland habe in den letzten Jahren relativ stabil einen Marktanteil von etwa 15 Prozent auf dem Umwelttechnologiemarkt gehabt. Bereits heute könnte der Dieselgenerator in Afrika durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden – für die gleichen Betriebskosten. Deutschland tue jedoch zu wenig, um solche Technologien zu exportieren. Seine große Hoffnung ist, dass die Entwicklungsländer den Schritt der karbonisierten Energieversorgung komplett überspringen und gleich erneuerbare Energiequellen verwenden.

Verzicht als Beitrag zum Klimaschutz?

Matthias Stüwe ist hingegen eher ernüchtert – und das von der Umsetzung der Energiewende im Vorbildland Deutschland. Er ist Vorsitzender der Klimaschutzstiftung Thüringen. Diese bietet Thüringer Kommunen und Unternehmen an, einen kostenlosen Energiecheck ihrer Anlagen durchzuführen und gemeinsam Energiesparmaßnahmen zu entwickeln. Aber das Angebot werde praktisch nicht angenommen. In seinen Augen reiche es eben nicht, wenn es nur um die Steigerung der Energieeffizienz – im Sinne von immer sparsameren Autos – gehe. Er würde lieber über ein neues Wirtschaftsmodell diskutieren, das auf weniger Konsum basiert. 

Das unterstützt auch Ralf Göhring vom BUND: „Alle müssen jetzt Klimaschützer sein.“ Die Menschen hätten die Wahl, ob sie sich jetzt selbst ändern, oder, ob es langfristig sehr teuer werden wird. Man könne auf Konsum verzichten, sein Geld anders einsetzen und auch auf ein Stück seines gehetzten Lebens verzichten. Der Lebensstil müsse sich ändern. Beispielsweise müsse man die Menschen viel stärker drängen, weniger Fleisch zu essen. Ein Großteil der CO-2-Emissionen entstehe durch die Tierhaltung der Landwirtschaft.

Diese Verzichtsdebatte hält Martin Gude für „hochgradig gefährlich“. Er unterscheidet drei Gruppen, die unterschiedliche Ansätze brauchen, um klimaschonender zu handeln: Politiker wollen wiedergewählt werden. Mit Verzichtsvorschlägen funktioniere das nicht, wie man am Vorschlag der Grünen gesehen habe, einen bundesweiten Veggieday einzuführen. Für die Wirtschaft müsse es sich einfach nur rechnen. Für die Bürger hingegen muss es sexy und cool sein, erneuerbare Energie zu nutzen. Sie wollen nicht verzichten, damit verprelle man sie nur. Gude prophezeit, dass bald auch Elektroautos cool sein werden. Das erkenne man beispielsweise daran, dass sich viele Eigenheimbesitzer Photovoltaik-Anlagen mit Batteriespeicher aufs Dach stellen, obwohl es sich rein rechnerisch gar nicht rentiere. Sie verbinden damit aber das gute Gefühl, dass sie – zumindest zeitweise – autark von der Stromversorgung sein könnten.

Das gute Gefühl

An solche positiven Emotionen könnte beispielsweise auch der Verein BürgerEnergie Thüringen anschließen. Am Ende der langen Nacht des Klimas erklärte dessen Vorsitzender, Prof. Reinhard Guthke, dass immer mehr Menschen sich ja dafür interessierten, wo ihr Strom herkomme. Deshalb sei die Idee des „Thüringer Landstroms“ entwickelt worden. Dieses neue Stromangebot stamme zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie, die in Thüringen gewonnen werde. Zwar hätten einige große Stromanbieter bereits komplett auf erneuerbare Energien umgestellt, so etwa die Stadtwerke Jena, aber dieser Strom müsse erst aus Wasserkraftwerken anderer Länder importiert werden. Jede Kilowattstunde, die in Thüringen selbst erzeugt werde, so Guthke, müsse nicht in anderen Ländern eingekauft werden. Auf diese Weise bekommen die Bürger das gute Gefühl zu wissen, wo ihr Strom herkommt.

Das könnte zumindest ein kleines, lokal begrenztes Erfolgsmodell zur Bekämpfung des Klimawandels werden. Und auch in Paris wurde – eine Woche nach der Langen Nacht des Klimas – ein weiterer Schritt zur gemeinsamen, globalen Bekämpfung des Klimawandels unternommen.